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Geschäftsgrundlage

Definition und rechtliche Grundlagen:

Die Geschäftsgrundlage bezeichnet die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut. Das Konzept der Geschäftsgrundlage ist eng mit dem Rechtsinstitut der Störung der Geschäftsgrundlage verbunden, das in § 313 BGB kodifiziert ist.

Die Lehre von der Geschäftsgrundlage wurde ursprünglich von Paul Oertmann entwickelt und hat durch die Schuldrechtsmodernisierung 2002 Eingang in das BGB gefunden.

Elemente der Geschäftsgrundlage:

Die Geschäftsgrundlage umfasst typischerweise folgende Elemente:

1. Gemeinsame Vorstellungen:
Umstände, von denen beide Parteien bei Vertragsschluss ausgehen.

2. Einseitige, erkennbare Vorstellungen:
Vorstellungen einer Partei, die für die andere erkennbar und nicht beanstandet sind.

3. Wesentlichkeit:
Die Umstände müssen für den Vertragsschluss von wesentlicher Bedeutung sein.

4. Zukunftsbezogenheit:
Oft beziehen sich die Vorstellungen auf zukünftige Entwicklungen.

Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten:

Die Geschäftsgrundlage ist von verwandten Konzepten abzugrenzen:

1. Motiv:
Rein subjektive Beweggründe einer Partei gehören nicht zur Geschäftsgrundlage.

2. Vertragsinhalt:
Ausdrücklich vereinbarte Punkte sind Teil des Vertrags, nicht der Geschäftsgrundlage.

3. Irrtum:
Der Irrtum betrifft die Willensbildung, die Geschäftsgrundlage die Grundlage des Geschäftswillens.

Störung der Geschäftsgrundlage:

Die praktische Bedeutung des Konzepts der Geschäftsgrundlage zeigt sich besonders bei ihrer Störung:

1. Voraussetzungen (§ 313 BGB):
– Schwerwiegende Veränderung der Umstände nach Vertragsschluss
– Die Parteien hätten den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie die Veränderung vorausgesehen hätten
– Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag für eine Partei

2. Rechtsfolgen:
– Primär: Anpassung des Vertrags
– Subsidiär: Rücktritt oder Kündigung (bei Dauerschuldverhältnissen)

Anwendungsbereiche und Beispiele:

Die Lehre von der Geschäftsgrundlage findet in verschiedenen Bereichen Anwendung:

1. Wirtschaftliche Veränderungen:
– Währungsreformen
– Extreme Preissteigerungen

2. Politische Umwälzungen:
– Kriege
– Embargos

3. Naturereignisse:
– Überschwemmungen
– Erdbeben

4. Persönliche Umstände:
– Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Schenkungen (z.B. Trennung von Verlobten)

5. Zweckstörungen:
– Wegfall des gemeinsam verfolgten Vertragszwecks

Rechtsprechung und Entwicklung:

Die Rechtsprechung zur Geschäftsgrundlage hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt:

1. Restriktive Anwendung:
Gerichte wenden das Konzept zurückhaltend an, um die Vertragsbindung nicht zu unterlaufen.

2. Einzelfallgerechtigkeit:
Betonung der Notwendigkeit einer umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall.

3. Corona-Pandemie:
Neue Rechtsprechung zur Anwendbarkeit bei pandemiebedingten Vertragsstörungen.

4. Internationale Aspekte:
Berücksichtigung in internationalen Verträgen und im Konflikt mit ausländischen Rechtsordnungen.

Praktische Bedeutung und Gestaltungsmöglichkeiten:

Die Geschäftsgrundlage spielt in der Vertragspraxis eine wichtige Rolle:

1. Risikoverteilung:
Explizite Vereinbarungen zur Risikoverteilung können die Geschäftsgrundlage beeinflussen.

2. Anpassungsklauseln:
Vertraglich vereinbarte Mechanismen zur Vertragsanpassung bei veränderten Umständen.

3. Höhere Gewalt:
Abgrenzung und Zusammenspiel von Geschäftsgrundlage und Force-Majeure-Klauseln.

4. Due Diligence:
Sorgfältige Prüfung der Geschäftsgrundlage bei komplexen Transaktionen.

Kritik und Diskussion:

Das Konzept der Geschäftsgrundlage ist nicht unumstritten:

1. Rechtsunsicherheit:
Kritiker bemängeln die Unbestimmtheit des Begriffs und die damit verbundene Rechtsunsicherheit.

2. Vertragstreue:
Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz pacta sunt servanda und der Vertragsanpassung.

3. Ökonomische Effizienz:
Diskussion über die wirtschaftlichen Auswirkungen einer zu großzügigen Anwendung.

Zusammenfassend ist die Geschäftsgrundlage ein zentrales Konzept des Vertragsrechts, das es ermöglicht, auf grundlegende Veränderungen der Umstände nach Vertragsschluss flexibel zu reagieren. Es dient dem Ausgleich zwischen Vertragstreue und Einzelfallgerechtigkeit und erfordert eine sorgfältige Abwägung der Interessen beider Parteien. In einer zunehmend komplexen und volatilen Wirtschaftswelt gewinnt das Verständnis und die richtige Anwendung des Konzepts der Geschäftsgrundlage weiter an Bedeutung für Juristen und Vertragsparteien.

 

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