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Kammergericht: Kein Leistungsschutzrecht für Computergrafiken

19. Februar 2020
in Urheberrecht
Lesezeit: 5 Minuten Lesezeit
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Ein interessantes Urteil aus meinem Gebiet IT-Recht kommt vom Kammergericht in Berlin. Es beschäftigt sich mit der Frage, ob ein virtuellen Gegenstand ein Erzeugnis im Sinne des § 72 UrhG darstellt oder nicht.

Inhaltsverzeichnis Verbergen
1. Der Fall
2. Die Entscheidung des Kammergericht
3. Auch keine Lichtbilder
4. Ausführungen zur Gewaltenteilung
4.1. Author: Marian Härtel
Wichtigste Punkte
  • Das Kammergericht in Berlin entschied, dass virtuellen Gegenstände kein Erzeugnis im Sinne des § 72 UrhG sind.
  • Die Entscheidung basiert auf dem Herstellungsverfahren, nicht auf der optischen Wirkung der Computergrafiken.
  • Schutz nach Urheberrecht erfordert persönliche geistige Schöpfung und Gestaltungshöhe, die hier nicht nachgewiesen wurde.
  • Computergenerierte Bilder können nicht als Werke der bildenden Kunst gemäß § 2 Abs. 1 UrhG eingestuft werden.
  • Das Gericht erkannte auch keine Lichtbilder im Sinne des Urhebergesetzes bei den strittigen Grafiken.
  • Die richterliche Rechtsfortbildung muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und im gegebenen Rahmen agieren.
  • Der Gesetzgeber muss entscheiden, ob Computergrafiken in den Schutzbereich des § 72 UrhG aufgenommen werden sollen.

Dies verneint das Kammergericht (das Oberlandesgericht in Berlin). Es entschied, dass eine am Computer mittels elektronischer Befehle erstellte Abbildung eines virtuellen Gegenstandes kein Erzeugnis im Sinne des § 72 UrhG darstelle, das ähnlich wie ein Lichtbild hergestellt wird.

Dies würden auch dann gelten, wenn die Grafik wie eine Fotografie wirke, da es auf das Ergebnis des Schaffensprozesses nicht entscheidend ankomme. Maßgeblich sei vielmehr allein das Herstellungsverfahren und insoweit die Vergleichbarkeit der technischen Prozesse.

Der Fall

Die Parteien stritten über die Wiedergabe von Produktabbildungen. Die Klägerin machte neben dem Unterlassen der Zugänglichmachung der Bilder einen Anspruch auf Erteilung von Auskunft über den Umfang der Nutzung von konkreten Produktfotos sowie über die Herkunft eines Produktfotos geltend.

Das Landgericht hatte die Beklagte noch antragsgemäß verurteilt. Dagegen wehrte sich die Beklagte, da diese der Meinung war, dass die streitgegenständlichen Bilder keinen Urheberrechtsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG genießen würden. Es würde sich zum einen nicht  um klassische Fotografien handeln, zum anderen gebe es deutliche Unterschiede sowohl im Schaffensvorgang als auch im Schaffensergebnis. Den  Bildern fehle es auch an der nach § 2 Abs. 1 UrhG erforderlichen Schöpfungshöhe.

Die Entscheidung des Kammergericht

Dieser Ausführung stimmte das Kammergericht zu und gab der Berufung statt. Computergenerierte Bilder würden sich nicht als Werke der bildenden Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG einstufen lassen. Unter den Begriff der bildenden Kunst fallen alle eigenpersönlichen Schöpfungen, die mit den Darstellungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht werden. Diesen Schutz können grundsätzlich auch Computeranimationen oder -grafiken genießen, jedoch nur dann, wenn diese nicht lediglich auf der Tätigkeit des Computers beruhen. Dabei ist für ein Werk der bildenden Kunst einschließlich der angewandten Künste eine persönliche geistige Schöpfung nach § 2 Abs. 2 UrhG erforderlich. Eine persönliche geistige Schöpfung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauung einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann.

Es ergibt sich insoweit auch aus der Cofemel-Entscheidung des EuGH vom letzten Jahr , in welcher dieser an seine ständige Rechtsprechung anknüpft, kein anderer Prüfungsmaßstab. In dieser Entscheidung befasst sich der EuGH mit der Frage des Urheberrechtsschutzes von Modellen (siehe meinen Post), die über ihren Gebrauchszweck hinaus eine spezielle ästhetische Wirkung haben. Danach setzt der Urheberrechtsschutz voraus, dass es sich bei den Modellen um originale Werke handelt. Dabei hat er auf seine bisherige Rechtsprechung hingewiesen, wonach jeder originale Gegenstand, der Ausdruck einer eigenen geistigen Schöpfung seines Urhebers ist, als Werk im Sinne der Richtlinie über das Urheberrecht eingestuft werden kann.

Dass es durch diese Entscheidung zu einer Absenkung der Anforderungen an den Urheberrechtsschutz gekommen wäre, sei laut dem Kammergericht nicht ersichtlich.

Die Frage, ob die ästhetische Wirkung eines Gegenstands für die Einstufung als Werk relevant ist, war laut dem Senat jedoch vorliegend nicht streitentscheidend, da es den Grafiken bereits an der für die Einordnung als eigenpersönliche Schöpfung erforderlichen Originalität fehlt.

Für Erzeugnisse der angewandten Kunst gelten in Abkehr von der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine erhöhten Anforderungen mehr als bei Werken der zweckfreien Kunst. Gleichwohl ist bei der Beurteilung, ob die weiterhin erforderliche Gestaltungshöhe erreicht ist, zu berücksichtigen, dass die ästhetische Wirkung der Gestaltung einen Urheberrechtsschutz jedenfalls nur dann begründen kann, soweit sie nicht dem Gebrauchszweck geschuldet ist, sondern auf einer künstlerischen Leistung beruht.

Eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers setzt voraus, dass ein Gestaltungsspielraum besteht und vom Urheber dafür genutzt wird, seinen schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen. Bei Gebrauchsgegenständen, die durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale aufweisen müssen, ist der Spielraum für eine künstlerische Gestaltung regelmäßig eingeschränkt

Die erforderliche Gestaltungshöhe konnte die Klägerin nicht darlegen, dass sich herausstellte, dass es die „Bilder mittels Software am Bildschirm erstellt“ worden seien. Dass bei der Gestaltung der Farben, der Kontraste und der Lichtreflexe eventuell einen Gestaltungsspielraum vorhanden war, genügte dem Kammergericht nicht. Bei den meisten Gestaltungselementen handelte es sich vielmehr um Grundelemente der perspektivischen Darstellung dreidimensionaler Körper auf zweidimensionalen Flächen.

Auch keine Lichtbilder

Auch Lichtbilder im Sinne des Urhebergesetzes erkannte das Gericht nicht

Bei den streitgegenständlichen Bildern handelt es sich nicht um Lichtbilder. Hierunter werden zunächst alle Abbildungen gezählt, die dadurch entstehen, dass strahlungsempfindliche Schichten chemisch oder physikalisch durch Strahlung eine Veränderung erfahren. [..] Dies ist bei am Computer erstellten Grafiken jedenfalls schon nicht der Fall.

Und schließlich erkannte die Kammer auch keine  Erzeugnisse, die ähnlich wie ein Lichtbild hergestellt wurden.

Bei der dieser Bewertung ist Ausgangspunkt der vorzunehmenden Auslegung des § 72 UrhG nämlich der Wortlaut der Norm, wonach maßgeblich auf den Schaffensvorgang und nicht auf das Ergebnis des Schaffensprozesses abgestellt wird. Dementsprechend kann für die Beantwortung der Frage, was unter „Erzeugnissen, die ähnlich wie Lichtbilder hergestellt werden“ zu verstehen ist, allein das Ergebnis des Herstellungsverfahrens letztlich nicht maßgeblich sein. Andernfalls wäre bereits jedes Bild, das optisch wie eine Fotografie wirkt, etwa fotorealistische Werke, als lichtbildähnliches Erzeugnis einzuordnen. Durch eine solche Auslegung würden jedoch die Grenzen zu den Schöpfungen, die von ihrer Entstehungsweise her eher Zeichnungen ähneln und die damit dem Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Nr. 7 UrhG zuzuordnen sind, verschwimmen.

Ausführungen zur Gewaltenteilung

Interessant in dem Urteil ist auch folgende Ausführung des Kammergericht:

Der Umstand, dass im Rahmen der Reformierung des Urheberrechts im Jahre 1962 bereits das Bewusstsein vorhanden war, dass das Urheberrecht durch technische Entwicklungen stark beeinflusst wird, es stets zu neuen Fragen der Anwendbarkeit kommt und es daher den technischen Möglichkeiten hinterherhinkt, kann vorliegend nicht zu einer anderen Bewertung führen. Zwar gehört es angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich zu den Aufgaben der Rechtsprechung, die Gesetze an veränderte Verhältnisse anzupassen. Dies hat jedoch stets mit Rücksicht auf die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Gesetzesbindung zu erfolgen. Vor diesem Hintergrund hat die richterliche Rechtsfortbildung die gesetzgeberische Grundentscheidung zu respektieren und eine Auslegung innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens vorzunehmen. Nicht hinnehmbar ist es, wenn sich der geltende Rechtszustand immer weiter vom Wortlaut der Gesetze entfernt.

Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis:

Insoweit ist zunächst zu bedenken, dass Computergrafiken im Rahmen des Urheberrechts nicht völlig schutzlos gestellt sind. Vielmehr genießen diese unter den Voraussetzungen des § 2 UrhG urheberrechtlichen Schutz. Die Frage, ob ihnen aber darüber hinaus eine Privilegierung im Sinne des § 72 UrhG zukommen soll, ist unter Berücksichtigung der bisher getroffenen gesetzgeberischen Grundentscheidung zu verneinen. Eine andere Auslegung lässt sich jedenfalls dem Zweck des Urheberrechts nicht entnehmen. Der Gesetzgeber hatte seinerzeit die Privilegierung des § 72 UrhG in einer bewussten Entscheidung allein auf Lichtbilder und ähnlich hergestellte Erzeugnisse beschränkt. Bei der Frage, ob der Anwendungsbereich dieser Norm für die Computergrafiken geöffnet werden soll, wenn diese in einer Art virtuellem Fotostudio erstellt werden, handelt es sich um eine grundsätzliche Wertentscheidung, die der Gesetzgeber zu treffen hat. Durch eine Einbeziehung der Computergrafiken in den Schutzbereich würde die bestehende Grenze zwischen der rein bildlichen Darstellung existierender Motive und der darüber hinausgehenden bildlichen Darstellung nicht existenter Motive aufgehoben. Darüber hinaus würde hierdurch auch die Grenze zwischen dem Urheber- und dem Leistungsschutzrecht neu justiert.

Und weiter führte das Kammergericht aus, dass die Forderung nach der Einbeziehung derartiger Grafiken in den Schutzbereich des § 72 UrhG mit Blick auf die Entwicklung der Computertechnologie, die zu völlig neuen Gestaltungs- und Bearbeitungsmöglichkeiten geführt hat,  zwar nachvollziehbar sei und sich bereits heute deutliche Wertungswidersprüche ergeben würden

Dieser Bruch sei jedoch bereits im Gesetz angelegt, so dass es auch Aufgabe des Gesetzgebers wäre, die bestehenden Regelungen unter Berücksichtigung der technischen Entwicklung sinnvoll anzupassen.

Marian Härtel
Author: Marian Härtel

Marian Härtel ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht mit einer über 25-jährigen Erfahrung als Unternehmer und Berater in den Bereichen Games, E-Sport, Blockchain, SaaS und Künstliche Intelligenz. Seine Beratungsschwerpunkte umfassen neben dem IT-Recht insbesondere das Urheberrecht, Medienrecht sowie Wettbewerbsrecht. Er betreut schwerpunktmäßig Start-ups, Agenturen und Influencer, die er in strategischen Fragen, komplexen Vertragsangelegenheiten sowie bei Investitionsprojekten begleitet. Dabei zeichnet sich seine Beratung durch einen interdisziplinären Ansatz aus, der juristische Expertise und langjährige unternehmerische Erfahrung miteinander verbindet. Ziel seiner Tätigkeit ist stets, Mandanten praxisorientierte Lösungen anzubieten und rechtlich fundierte Unterstützung bei der Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle zu gewährleisten.

Tags: BundesgerichtshofComputerEntwicklungGesetzeIT-RechtKammergerichtModelRechtsprechungReformSchöpfungshöheSoftwareUrheberrecht

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