Kurzüberblick: Upload-Filter sind kein Selbstzweck, sondern Folge eines neuen Haftungsregimes für Plattformen. Art. 17 der Richtlinie (EU) 2019/790 und das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) verpflichten bestimmte Diensteanbieter, Rechtsverletzungen schon beim Upload zu verhindern – flankiert durch Ausnahmen, Schutzmechanismen gegen Overblocking und Beschwerdeverfahren. Parallel wirken Grundrechte (Art. 5 GG, Art. 11 GRCh) und Persönlichkeitsrechte. Wer Inhalte hostet oder bereitstellt, benötigt 2025 klare Prozesse, belastbare Technik und belastbare Vertragsklauseln.
Rechtsrahmen: Art. 17 DSM und UrhDaG – Funktionsweise, Bagatellgrenzen, „mutmaßlich erlaubt“
Adressatenkreis und Grundprinzip. Erfasst sind Diensteanbieter im Sinne des UrhDaG, also Plattformen, die nutzergenerierte Inhalte speichern und öffentlich zugänglich machen (vgl. § 2 Abs. 1 UrhDaG). Der Diensteanbieter ist für die öffentliche Wiedergabe grundsätzlich verantwortlich (§ 1 Abs. 1 UrhDaG). Haftungsentlastung gelingt im Kern nur, wenn (1) eine Lizenz besteht, (2) die Nutzung gesetzlich erlaubt ist oder (3) die gesetzlich normierten Sorgfaltspflichten eingehalten werden (§ 1 Abs. 2 UrhDaG). Der unionsrechtliche Hintergrund ist Art. 17 DSM-RL, der eine besondere Verantwortlichkeit online content-sharing service providers statuiert.
Mutmaßlich erlaubte Nutzungen. Um unverhältnismäßige Sperren zu vermeiden, ist ein Bündel aus Vermutungen, Schwellenwerten und Verfahrensrechten geschaffen worden (Teil 4 UrhDaG). § 9 UrhDaG ordnet an, mutmaßlich erlaubte Nutzungen bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens öffentlich wiederzugeben. Die widerlegliche Vermutung greift, wenn der Upload
(1) weniger als die Hälfte eines fremden Werkes (oder mehrerer Werke) enthält,
(2) mit anderem Inhalt kombiniert ist und
(3) geringfügig ist oder als gesetzlich erlaubt gekennzeichnet wurde (§ 9 Abs. 2 i. V. m. §§ 10, 11 UrhDaG).
Bagatellgrenzen. § 10 UrhDaG qualifiziert bestimmte Kleinstnutzungen als „geringfügig“ – bis zu 15 Sekunden je Filmwerk/Laufbild, bis zu 15 Sekunden je Tonspur, bis zu 160 Zeichen je Text sowie bis zu 125 Kilobyte je Lichtbild/Lichtbildwerk/Grafik. Diese Schwelle gilt nur bei nicht-kommerzieller Nutzung oder zur Erzielung unerheblicher Einnahmen. Damit liegt ein normierter Korridor vor, der technisch überprüfbar ist und als Overblocking-Bremse fungiert.
Kennzeichnung als gesetzlich erlaubt. Greift keine Bagatellnutzung, entsteht ein zweistufiges Verfahren: Wird ein Upload beim Hochladen automatisiert blockiert, muss der Diensteanbieter den Nutzer informieren und eine Kennzeichnung als gesetzlich erlaubt ermöglichen (§ 11 Abs. 1 UrhDaG). Wird erst nach dem Hochladen blockiert, gilt der Inhalt 48 Stunden auch ohne Kennzeichnung als mutmaßlich erlaubt (§ 11 Abs. 2 UrhDaG). Das Konzept schützt legitime Nutzungen (z. B. Zitat, Parodie, Pastiche) vor vorschneller Sperrung.
Beschwerde und Verantwortlichkeit. Für blockierte oder freigeschaltete Inhalte besteht ein wirksames, kostenfreies und zügiges Beschwerdeverfahren (§ 14 UrhDaG). Bis zur Entscheidung ist der Diensteanbieter für die öffentliche Wiedergabe mutmaßlich erlaubter Nutzungen urheberrechtlich nicht verantwortlich (§ 12 Abs. 2 UrhDaG); bei geringfügigen Nutzungen trifft auch den Nutzer vorläufig keine Verantwortlichkeit (§ 12 Abs. 3 UrhDaG). Der Gesetzgeber kombiniert damit präventive Filterpflichten mit verfahrensrechtlichen Sicherungen.
Schranken im Urheberrecht. Klassische Erlaubnistatbestände bleiben anwendbar, insbesondere § 51 UrhG (Zitat) sowie § 51a UrhG (Karikatur, Parodie, Pastiche). Diese Normen bilden häufig das materielle Fundament für die Kennzeichnung als gesetzlich erlaubt nach § 11 UrhDaG.
Start-up- und Kleine-Anbieter-Privilegien. § 2 UrhDaG unterscheidet Startup-Diensteanbieter (u. a. EU-Umsatz ≤ 10 Mio. €, Dienste < 3 J.) und kleine Diensteanbieter (Umsatz ≤ 1 Mio. €). § 7 UrhDaG sieht für diese Gruppen Erleichterungen bei Upload-Filterpflichten vor, die jedoch nicht von übrigen Pflichten (z. B. Lizenzerwerb, Verfahren) entbinden. Wer Plattformfunktionen in ein Produkt integriert, sollte frühzeitig prüfen, ob die Schwellenwerte überschritten werden.
Grundrechte und Overblocking: Meinungs-, Kommunikations- und Kunstfreiheit im Gleichgewicht
Grundrechtlicher Rahmen. Upload-Filter tangieren Kommunikationsgrundrechte. National schützt Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungs- und Informationsfreiheit) sowie Art. 5 Abs. 3 GG (Kunstfreiheit). Unionsrechtlich ist Art. 11 GRCh zentral. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat Art. 17 DSM-RL ausdrücklich grundrechtskonform bestätigt, zugleich aber die Bedeutung der Schutzmechanismen gegen Overblocking hervorgehoben (u. a. C-401/19, Polen/Parlament und Rat). Das deutsche Umsetzungsrecht trägt dem durch §§ 9–12 UrhDaG Rechnung.
Verhältnismäßigkeit durch Verfahren. Der Gesetzgeber setzt nicht auf schrankenlose Filterung, sondern verlangt strukturierte Abwägung durch upfront-Regeln: Schwellenwerte (Bagatellgrenzen), die Vermutung „mutmaßlich erlaubt“, Kennzeichnungsmöglichkeiten, rasche Beschwerden mit materieller Neubewertung. Diese Kombination soll Fehlentscheidungen automatisierter Systeme entschärfen und zugleich berechtigte Rechteinhaberinteressen sichern.
„Mutmaßlich erlaubt“ ist keine Schranken-Generalamnestie. Die Vermutung schützt legitime Nutzung bis zur Klärung; sie kippt, wenn sich die gesetzliche Erlaubnis nicht trägt. Rechteinhaber behalten Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche; die vorläufige Verantwortungsfreiheit der Plattform gem. § 12 Abs. 2 UrhDaG endet mit der Entscheidung im Beschwerdeverfahren. Das System zwingt dadurch alle Beteiligten – Plattform, Uploader, Rechteinhaber – zu prüfbarer Argumentation.
Technikrechtliche Sorgfalt. „Best-Efforts“-Pflichten (Art. 17 Abs. 4 DSM-RL) verlangen angemessene Maßnahmen zur Verhinderung nicht lizenzierter Nutzungen. Damit sind Erkennungssysteme faktisch unvermeidlich. Entscheidend ist, dass ihre Treffer- und Fehlerraten beherrscht werden: Ein falsch positiver Treffer (Overblocking) kann Grundrechte verletzen; ein falsch negativer Treffer (Unterblocking) schädigt Urheberinteressen. Dokumentierte Parameter, regelmäßiges Re-Tuning und menschliche Zweitkontrollen sind daher integraler Bestandteil der Verhältnismäßigkeit.
Persönlichkeitsrechtliche Dimension und DSA-Schnittstellen: Moderation jenseits des Urheberrechts
Persönlichkeitsrechte online. Upload-Filter greifen primär urheberrechtliche Risiken auf. Gleichwohl spielen zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz (allg. Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. § 823 BGB) und Recht am eigenen Bild (§§ 22 ff. KUG) eine wichtige Rolle. Sorgfaltspflichten der Plattformen müssen so ausgestaltet sein, dass rechtswidrige Eingriffe (z. B. Diffamierungen, Deepfakes, Entstellungen) effizient adressiert werden, ohne zulässige Kritik, Satire oder künstlerische Bearbeitungen zu unterdrücken.
DSA-Pflichten (Plattformregulierung). Der Digital Services Act ergänzt das Urheberregime nicht in der Haftung, wohl aber in der Prozedur: Meldesysteme, Beschwerdewege, Transparenzpflichten und Schutz Minderjähriger sind obligatorisch. Für sehr große Plattformen kommen Risikobewertungen, Audits und Transparenzberichte hinzu. Praktisch bedeutet das: Notice-and-Action für Inhalte jenseits des Urheberrechts (z. B. Persönlichkeitsrechtsverletzungen) muss kohärent neben den UrhDaG-Workflows laufen – idealerweise über vereinheitlichte Intake-Prozesse mit spezifischem Routing.
Schrankenrecht als Brücke. In Grenzfällen tragen Zitat (§ 51 UrhG) und Parodie/Pastiche (§ 51a UrhG) den Ausgleich zwischen Persönlichkeits- und Urheberinteressen. Ein satirischer Mem-Upload kann urheberrechtlich zulässig sein, zugleich aber persönlichkeitsrechtswidrig, wenn er etwa die Intimsphäre verletzt. Moderationsrichtlinien sollten deshalb zweistufig prüfen: (1) urheberrechtliche Zulässigkeit, (2) sonstige Rechtsgüter (Persönlichkeitsrecht, Wettbewerbsrecht, Strafrecht, Jugendschutz).
Beweis- und Dokumentationsfragen. Für die Rechtsdurchsetzung zählt Dokumentation: Benachrichtigungen, Gründe für Sperren/Freischaltungen, Prüfschritte, menschliche Reviews, Trainings- und Threshold-Änderungen. Diese Unterlagen sind für interne Audits, Schlichtung und gerichtliche Verfahren bedeutsam.
Umsetzung 2025: Governance, Technik, Verträge – ein praxistauglicher Fahrplan
A. Governance & Verantwortlichkeiten
- Rollen und Eskalationen: Verantwortliche für Lizenzen, Filterparameter, Rechtsprüfung, Beschwerdebearbeitung und Reporting klar zuordnen. Stellvertretungs- und Vertretungsregelungen dokumentieren.
- Policies: Upload-Richtlinien, zulässige Inhalte, Umgang mit Remix/Parodie/Zitat, „Kennzeichnung als erlaubt“ (§ 11 UrhDaG), Zeitfenster (48 h), „mutmaßlich erlaubt“ (§ 9 UrhDaG), Beschwerdeverfahren (§ 14 UrhDaG).
- Minderjährigenschutz: DSA-Schutzvorgaben – altersangemessene Voreinstellungen, Risiko-Mitigation, Reporting.
- Start-up-Status: Umsätze, Laufzeit, Besucherzahlen monitoren; automatischer Wechsel der Compliance-Stufe bei Schwellenüberschreitung (vgl. § 2, § 7 UrhDaG).
B. Technik & Prozesse
- Erkennungssysteme: Versionierung der Modelle, Tests mit Gold-Datasets (balanced: Musik, Video, Text, Bilder), Messung von Precision/Recall, False-Positive-Quote pro Werkklasse.
- Schwellensteuerung: Score-Thresholds so definieren, dass § 10-Fälle nicht blockiert werden; „Low-Confidence-Matches“ in menschliche Review-Queues.
- Benachrichtigung & UI: Nutzerfreundliche Hinweise bei drohender Blockierung (Verweis auf § 11 UrhDaG) und bei Post-Upload-Matches mit 48-Stunden-Hinweis. Ein-Klick-Kennzeichnung für § 51 / § 51a UrhG; Möglichkeit, Lizenzen/Einwilligungen hochzuladen.
- Beschwerdeverfahren: Fristenkette, qualifizierte Begründung, Pflichtmitteilungen an Rechteinhaber (§ 14 UrhDaG), Entscheidung binnen einer Woche als interner Zielwert; Eskalation an Rechtsabteilung.
- Daten- und IT-Sicherheit: Hash-Datenbanken, Fingerprints, Evidenzspeicher mit Integritätsschutz; Protokollierung nach Privacy by Design (Art. 25 DSGVO).
- Transparenzberichte: Kennzahlen zu Sperren/Freischaltungen, Durchschnittsfristen, Beschwerde-Outcomes – DSA-kompatibles Reporting.
C. Vertragswerk & Rechtekette
- Lizenzen: Rechteklärung mit Verwertungsgesellschaften/Produzenten; Reichweite (Territorium, Medien, Bearbeitungen); Direktvergütung beachten (§ 12 Abs. 1 UrhDaG).
- Uploader-AGB: Zusicherungen zur Rechteinhaberschaft, Pflicht zur richtigen Kennzeichnung (Zitat/Parodie), Mitwirkung bei Klärung, Freistellung und Regress bei rechtsmissbräuchlicher Kennzeichnung.
- Rechteinhaber-Workflow: Standardisierte Notice-Templates (Werkidentifikation, Rechtekette, Lizenzstatus), Rate-Limit gegen Spam-Notices, klare Eskalation in das § 14-Verfahren.
- Dienstleister-Verträge (Filteranbieter/SaaS): Service Levels (Trefferquoten, Reaktionszeiten), Audit- und Explainability-Klauseln, Daten- und Geheimnisschutz, Exit-Rechte (Modell-/Datenport).
- Beweisrecht: Log-Aufbewahrung, Zeitstempel, Signaturen; Legal Hold bei streitigen Verfahren.
D. Produkt- und Community-Design
- Remix-freundliche Defaults: Templates und Schulungsmodule zu § 51/§ 51a UrhG; Fair-Use-Mythen vermeiden (kein deutsches Recht).
- „Narrow Block – Wide Review“: Harte Sperre nur bei hoher Übereinstimmung ohne § 10-Anhalt; alles andere in manuelle Prüfung.
- UI für Grundrechte: Sichtbare Rechtsgrundlagen bei Entscheidungen (Zitat, Parodie, Pastiche, Lizenz), kurze Begründungstexte und Widerspruchsoption.
E. Prüf- und Auditprogramm
- Quartalsweise Parameter-Reviews mit A/B-Vergleich; Dokumentation für Aufsichten, Gerichte, Schlichtungsstellen.
- Bias-Checks (z. B. gegen bestimmte Genres/Sprachen).
- Stresstests vor Großereignissen (Sport, Festival, Releases).
F. Typische Fehler – und wie sie vermieden werden
- Hartes Blocking unterhalb § 10-Schwellen → Schwellenlogik prüfen, Testdaten erweitern.
- Keine 48-Stunden-Freigabe bei Post-Block → § 11 Abs. 2 UrhDaG in der Systemlogik abbilden.
- Fehlendes oder träges Beschwerdeverfahren → § 14 UrhDaG-Pflichten operativ sichern (Fristen, Ressourcen).
- Ausschließlich technische Abwägung → Juristische Review-Layer für Grenzfälle (Zitat/Kunstfreiheit) einziehen.
- DSA-Pflichten isoliert betrachtet → Einheitsworkflow mit Rechtsrouting für nicht-urheberrechtliche Rechtsverletzungen.
Fazit: Upload-Filter sind 2025 rechtlich geboten – aber nur als Teil eines balancierten Systems aus Lizenzen, Schranken, Vermutungen und wirksamen Rechtsbehelfen. Wer Pflichten und Rechte integriert umsetzt, reduziert Haftungs- und Reputationsrisiken, schützt Grundrechte und schafft belastbare Verfahren für Streitfälle.
Passend dazu:
Der BGH hat mit Beschluss vom 17. Juli 2025 (Az. I ZB 82/24) klargestellt, dass Cloud-Dienste keine Urheberabgabe schulden. Das System der Privatkopievergütung nach §§ 54 ff. UrhG knüpft an Geräte und physische Speichermedien an; eine analoge Anwendung auf reine Cloud-Speicher lehnt der Senat mangels planwidriger Regelungslücke ab. Der Hinweis der Karlsruher Richter: Etwaige Verschiebungen vom lokalen Speicher in die Cloud mögen gesetzgeberisch zu adressieren sein; eine gerichtliche Erweiterung des Abgabenkreises kommt nicht in Betracht. Für die Praxis bedeutet das: Vergütungspflichten (Privatkopie) bleiben strikt getrennt von Haftungs- und Sorgfaltspflichten aus Art. 17 DSM/UrhDaG. Reine Cloud-Speicher sind regelmäßig keine OCSSP (keine öffentliche Wiedergabe), wohingegen Content-Sharing-Plattformen Upload-Filter-Compliance unabhängig von der Privatkopievergütung sicherstellen müssen.