Viele deutsche Gründer mit globalen Ambitionen stellen sich die Frage, ob sie ihr Startup als deutsche GmbH gründen oder gleich eine Auslandsholding – etwa eine US-Inc. in Delaware oder eine Holding in einem baltischen Staat – nutzen sollten. In den letzten Jahren gab es in Deutschland erhebliche Reformen, um den Standort attraktiver für Startups und Investoren zu machen. Dennoch locken im Ausland scheinbar unkomplizierte Gründungsprozesse und steuerliche Vorteile. Dieser Beitrag beleuchtet sachlich die rechtlichen und steuerlichen Aspekte beider Wege. In nüchternem Ton werden Chancen und Risiken aufgezeigt – insbesondere auch die oft unterschätzten Fallstricke von Auslandsstrukturen. Am Ende folgen praxisorientierte Tipps zur Gestaltung, etwa für einen späteren „Flip“ in eine Inc. oder den sinnvollen Einsatz einer Auslandsholding mit deutscher Betriebsgesellschaft.
Neuerungen in Deutschland: Reformen stärken den Startup-Standort
Deutschland hat zum 1. Januar 2024 mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) ein Reformpaket umgesetzt, um Startups die Finanzierung und Mitarbeiterbeteiligung zu erleichtern. Wichtige Änderungen sind:
- Mitarbeiterbeteiligungen (ESOP): Der jährliche steuerfreie Betrag für Belegschaftsaktien wurde von 1.440 € auf 2.000 € erhöht. Zudem können die Steuern auf den Vorteil aus Belegschaftsanteilen nun bis zu 15 Jahre aufgeschoben werden (vorher 12 Jahre). Damit soll die Dry-Income-Problematik entschärft werden, bei der Mitarbeiter Steuern auf virtuelle Anteile zahlen mussten, bevor sie Liquidität daraus erzielen. Diese Maßnahmen bleiben zwar hinter den Forderungen der Startup-Branche zurück, sind aber ein Schritt in die richtige Richtung.
- Kapitalmaßnahmen und Börsenzugang: Kapitalerhöhungen wurden vereinfacht – z.B. darf eine Bezugsrechtsausschluss-Kapitalerhöhung nun 20% statt 10% des Kapitals betragen, was schnellere Finanzierungsrunden ermöglicht (für Gründer relevant, die früh neues Eigenkapital aufnehmen möchten). Zudem wurde der Börsengang für junge Firmen erleichtert, u.a. durch Absenkung der Mindestliquidität und den Verzicht auf eine Bank als Mitantragsteller.
- Mehrstimmrechtsaktien: Erstmals seit Jahrzehnten sind in Deutschland wieder Aktien mit mehrfachen Stimmrechten erlaubt. Ein Unternehmen kann nun Stimmrechtsaktien bis maximal 10:1 ausgeben. Dadurch können Gründer trotz Kapitalaufnahmen ihren Einfluss wahren – ähnlich wie es in den USA bei Dual-Class Shares üblich ist. Diese Mehrstimmrechte sind allerdings nur für börsennotierte Aktiengesellschaften relevant und zeitlich begrenzt (gesetzlich auf 10 Jahre nach Börsengang beschränkt). Für GmbHs spielen sie keine Rolle, da dort schon früher flexible Stimmrechtsgestaltungen möglich waren.
- Digitalisierung: Geschäftsanteile können zwar noch nicht vollkommen ohne Notar übertragen werden, aber es tut sich etwas: So wurde z.B. die elektronische Aktie (e-Aktie) eingeführt. Auch bei GmbH-Gründungen gibt es Fortschritte (Online-Gründung via Videonotar für einfache Standardfälle). Dennoch bleibt die deutsche Bürokratie spürbar: Viele Vorgänge erfordern weiterhin Beurkundungen und Formulare in deutscher Sprache – was international operierende Gründer oft als Hemmnis empfinden.
Zusammengefasst verbessert sich das rechtliche Umfeld in Deutschland: Mitarbeiterbeteiligungen werden steuerlich begünstigt, Gründer können künftig mit Mehrstimmrechtsaktien Kontrolle behalten, und Kapitalmaßnahmen werden startup-freundlicher. Das Ziel ist klar: Der Standort Deutschland soll für Investoren attraktiver werden.
Nachteile der deutschen GmbH: Steuern und Bürokratie
Trotz der Reformen bringt eine Gründung in Deutschland weiterhin einige Nachteile mit sich, die Gründer in ihre Entscheidung einbeziehen sollten:
- Hohe Steuerbelastung auf Gewinne: Eine GmbH zahlt in Deutschland rund 30 % Körperschaft- und Gewerbesteuer auf ihr zu versteuerndes Einkommen. Der Körperschaftsteuersatz liegt bei 15 % (zzgl. Solidaritätszuschlag), dazu kommt je nach Kommune etwa 14 % Gewerbesteuer. Damit bewegt sich Deutschland im internationalen Vergleich im oberen Bereich. Zwar fällt diese Belastung in der Wachstumsphase oft wegen reinvestierter Gewinne oder Verlusten zunächst nicht ins Gewicht, doch spätestens im Profitabilitätsfall mindert sie die Mittel, die im Unternehmen verbleiben können. Auch Gewinnausschüttungen an die Gründer werden nochmals besteuert (Kapitalertragsteuer ca. 25 %).
- Aufwendige Gründungs- und Verwaltungsvorgänge: Die GmbH-Gründung erfordert einen Notartermin, ein Stammkapital von mindestens 25.000 € (davon 12.500 € einzuzahlen) und die Eintragung ins Handelsregister. Dieser Prozess kann sich über Wochen oder gar Monate ziehen. So ist z.B. eine voll digitale Gründung (noch) nicht möglich – im Unterschied zu einigen Auslandslösungen. Auch nach der Gründung bleibt die Bürokratie anspruchsvoll: Jede Änderung im Gesellschafterkreis oder Kapital bedarf notarieller Beurkundung, Jahresabschlüsse müssen nach HGB erstellt und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden, und die Kommunikation mit Behörden (Handelsregister, Finanzamt, IHK etc.) erfolgt primär auf Deutsch und oft papierhaft. Dieser Aufwand kostet Zeit und Geld, was für ein agiles Startup belastend sein kann.
- Starres Gesellschaftsrecht der GmbH: Im Vergleich zu anglo-amerikanischen Rechtsformen ist die GmbH weniger flexibel. Es gibt z.B. keine frei handelbaren Anteile (jeder Anteilskauf braucht notarielle Abtretung), keine unterschiedlichen Aktienklassen mit speziellen Rechten (eine GmbH kennt zwar z.T. Vorzugsgeschäftsanteile, doch die Gestaltungsmöglichkeiten sind begrenzt) und traditionelle Vorkaufsrechte der Gesellschafter, die bei schnellen Investoreneinstiegen hinderlich sein können. In der Praxis behelfen sich Startups mit individuellen Gesellschaftervereinbarungen und Konzepten wie VSOPs (virtuelle Stock Options) für Mitarbeiter, um die Begrenzungen zu umgehen – doch das alles erhöht die Komplexität.
Kurzum: Deutschland bietet Rechtssicherheit und nun bessere Rahmenbedingungen, aber fordert dafür einen hohen Compliance-Aufwand. Die steuerlichen Raten sind hoch und die Abläufe formell. Viele Gründer empfinden dies als Wettbewerbsnachteil gegenüber Standorten mit schlankerer Verwaltung. Daher entsteht die Überlegung, diese Hürden durch eine Auslandsholding zu umgehen.
Delaware C-Corp: US-Holding als Magnet für Kapital
Die Delaware Corporation (C-Corp) gilt im Tech- und VC-Bereich als Goldstandard. Insbesondere wenn ein Startup in absehbarer Zeit in den US-Markt will oder US-Investoren ansprechen möchte, kommt oft der Rat: „Gründet eine Inc. in Delaware!“. Welche Vorteile bietet dieser Weg?
- Schnelle, einfache Gründung: Eine Delaware-Inc. lässt sich innerhalb von Stunden online gründen – ohne Notar, ohne hohe Stammkapitalvorgaben. Der Gründungsprozess ist schlank und günstig: Spezialisierte Agenten und Anwälte vor Ort erledigen die Formalitäten effizient, teils sogar rund um die Uhr. „Gründung in Delaware innerhalb 1 Stunde? No problem!“ lautet nicht umsonst ein geflügeltes Wort. Die Kosten beschränken sich auf einige Hundert Dollar Gebühren – in deutlichem Kontrast zur monatelangen Prozedur einer deutschen GmbH-Gründung.
- Investorenfreundliches Recht: Delaware bietet ein sehr liberales Gesellschaftsrecht mit viel Vertragsfreiheit. Es sind mehrere Aktienklassen, Optionen und Mitarbeiterbeteiligungen problemlos gestaltbar. Zudem existiert ein umfangreiches Case-Law (Präzedenzfälle) und ein spezialisiertes Gericht (Court of Chancery) – Investoren schätzen die Rechtssicherheit und Berechenbarkeit bei Streitfragen. Die allermeisten US-Venture-Capital-Verträge sind auf Delaware-Recht zugeschnitten; eine Inc. garantiert also kompatible Standards. Auch spätere IPO-Pläne lassen sich mit einer US-Corp leichter realisieren, zumal Börsen wie die NASDAQ eine Delaware-Registrierung gewohnt sind.
- Keine lokale US-Besteuerung (sofern kein US-Geschäft): Delaware erhebt keine Bundesstaat-Ertragssteuer auf Gewinne von Unternehmen, die außerhalb von Delaware tätig sind. Kombiniert mit dem relativ moderaten US-Bundeskörperschaftsteuersatz von 21 % ergibt das ein in einigen Fällen günstigeres Steuerniveau als in Deutschland. Allerdings gilt dieser Vorteil nur, solange die Inc. tatsächlich keine Besteuerungsanknüpfung (Tax Nexus) in einem anderen US-Staat hat. Hat das Startup z.B. Büros oder Umsatz in Kalifornien, fallen dort entsprechende State Taxes an – der Delaware-Vorteil relativiert sich schnell. Dennoch: Für eine reine Holding ohne US-Umsatz bleibt Delaware in steuerlicher Hinsicht zumindest neutral. Gewinne aus der deutschen Tochter würden auf Ebene der US-Holding meist erst bei Ausschüttung an die Gründer besteuert (wobei die genauen Folgen von internationalen Gewinntransfers komplex sind und von DBA-Regelungen abhängen).
Diese Pluspunkte klingen verlockend – aber es gibt auch handfeste Nachteile und Pflichten bei einer Delaware-Holding:
- Doppelter Verwaltungsaufwand: Eine Delaware-Inc. unterliegt dem US-Recht und benötigt z.B. einen Registered Agent in Delaware. Wenn die Geschäftsaktivität außerhalb der USA stattfindet (etwa in Deutschland), muss man die US-Gesellschaft in diesem Staat oftmals als „foreign entity“ registrieren – mit weiteren Gebühren und Vorschriften. Praktisch läuft es meist darauf hinaus, dass man eine deutsche Tochter-GmbH gründet, die das operative Geschäft führt, während die Inc. als Holding fungiert. Damit hat man zwei Gesellschaften zu administrieren: Jahresabschlüsse nach zwei Rechtsordnungen, zwei Buchhaltungen, zwei Sets an Rechtsvorschriften. Die Inc. muss z.B. jährliche Franchise Tax in Delaware zahlen (oft um die 300 USD, bei hohem Aktienvolumen auch mehr) und je nach Aktivität Steuererklärungen in den USA einreichen. Dieser Overhead ist für ein junges Startup nicht trivial.
- Steuerliche Tücken (Management und Wegzug): Auch wenn Delaware selbst keinen Gewinnsteuersatz erhebt, kann die deutsche Steuer dennoch zugreifen. Entscheidend ist der Ort der Geschäftsleitung: Wenn die Gründer und das Management in Deutschland sitzen und alle strategischen Entscheidungen von hier aus treffen, kann das Finanzamt die Inc. als in Deutschland steuerpflichtig ansehen (trotz Registrierung in den USA). Dann hätte man den Aufwand einer Inc., würde aber dennoch wie eine deutsche Firma besteuert – ein Worst-Case-Szenario. Um das zu vermeiden, muss die Inc. echte Substanz in den USA vorweisen: z.B. einen dort ansässigen Director, Board Meetings in den Staaten, Büroadresse, lokale Aktivitäten. Solche Substance-Anforderungen verursachen Kosten und organisatorischen Aufwand. Ferner ist ein späterer Wegzug der Gründer zu beachten: Sollte ein Anteilseigner mit ≥1 % Beteiligung aus Deutschland wegziehen oder die deutsche GmbH in die Inc. einbringen, droht die Wegzugsbesteuerung. Deutschland fingiert in solchen Fällen einen Verkauf der Anteile und besteuert die Wertsteigerung der GmbH-Anteile zum Wegzugszeitpunkt. Zwar gibt es bei Umzug in ein EU-Land Möglichkeiten zur Stundung oder Rückzahlung, aber diese Regeln wurden 2022 verschärft (Rückkehr muss nun i.d.R. innerhalb von 7 Jahren erfolgen, zuvor 5 Jahre, damit die Steuer erlassen wird). Ein Flip zu einer US-Inc. (außerhalb der EU) löst meist sofort die Exit Tax aus – es sei denn, man strukturiert sehr früh und mit fachkundiger Beratung, um Steuerneutralität zu erreichen. Die steuerlichen Details sind komplex und im Alleingang kaum zu überblicken.
- Rechtsrisiken und andere Nachteile: Durch die US-Holding begibt man sich auch in das US-Rechtssystem. Theoretisch können Rechtsstreitigkeiten in den USA gegen die Holding geführt werden – ein Umfeld mit hohen Streitkosten und Sammelklagen, das man ohne US-Geschäft sonst meiden könnte. Zudem unterliegt eine Delaware Inc. bei Kapitalmaßnahmen dem US-Wertpapierrecht (SEC-Regularien), was bei z.B. internationalen Crowdfunding oder einem Listing in Europa hinderlich sein kann. Schließlich darf man nicht übersehen, dass Delaware kein Automatismus für Finanzierung ist: Nicht jeder VC investiert „blind“ nur weil das Konstrukt Delaware heißt. Ohne substanzielles US-Geschäft oder -Investor kann eine Auslandshülle sogar misstrauisch machen. Gründer sollten den Schritt daher strategisch begründen können.
Zwischenfazit: Eine Delaware-Corp kann die Eintrittskarte zu globalem Kapital und Märkten sein – doch sie kommt mit mehr Pflichten und Risiken, als mancher ahnt. Gerade ohne sofortigen US-Plan sollte man genau prüfen, ob der Nutzen die Mehrbelastung aufwiegt. Oft wird empfohlen, einen Delaware-Flip erst dann zu vollziehen, wenn konkrete US-Investoren oder -Geschäfte anstehen. Auch Experten raten: Ein Delaware-Flip ist ein bedeutendes Unterfangen, das frühzeitig bedacht werden sollte, aber nicht vorschnell aus bloßem Prestige angegangen werden darf.
Holding in Estland & Co.: Digitale Effizienz und Steuerstundung
Neben den USA schauen deutsche Gründer mitunter auf EU-Auslandslösungen, zum Beispiel Estland oder Lettland. Diese Länder werben mit digitaler Verwaltung und steuerlichen Anreizen. Was hat es damit auf sich?
- Digitales Gründen und Verwalten: Estland ist berühmt für seine E-Residency-Initiative. Jeder (auch Nicht-Resident) kann online eine Estnische OÜ (ähnlich einer GmbH) gründen – 100 % digital in oft weniger als einer Stunde. Notare oder Behördengänge entfallen. Verwaltungstätigkeiten wie Handelsregistermeldungen, Steuererklärungen etc. laufen elektronisch mit einer digitalen Signaturkarte. Für Startup-Gründer, die Deutschland als bürokratisch erleben, wirkt das extrem attraktiv. In der Tat können Gründungskosten und -dauer in Estland einen Bruchteil des deutschen Aufwands betragen. Lettland und Litauen haben ebenfalls in den letzten Jahren Prozesse digitalisiert, wenn auch Estland hier Vorreiter bleibt. Die Kommunikation mit Behörden läuft auf Englisch (in Estland üblich), was international ausgerichteten Teams entgegenkommt.
- Steuerliche Vorteile: Der größte Trumpf Estlands ist das einzigartige Körperschaftsteuersystem: Unternehmensgewinne werden erst besteuert, wenn sie ausgeschüttet werden. Solange Gewinne im Unternehmen verbleiben (thesauriert werden), fällt keine Körperschaftsteuer an. Bei Ausschüttung an die Anteilseigner beträgt die estnische Körperschaftsteuer grundsätzlich 20 % vom Bruttobetrag der Dividende. Für regelmäßige Gewinnausschüttungen kann sich dieser Satz auf effektiv 14 % reduzieren, wobei dann ggf. zusätzlich 7 % Dividendensteuer beim Empfänger erhoben werden. In einfachen Worten: Reinvestierte Gewinne bleiben steuerfrei, was schnelles Wachstum erleichtern soll. Dies unterscheidet Estland fundamental von Deutschland, wo jeder Jahresgewinn besteuert wird – egal ob reinvestiert oder nicht.
- EU-Rechtsrahmen und Förderungen: Als EU-Land bietet Estland einen sicheren Rechtsrahmen und Doppelbesteuerungsabkommen, ähnlich wie Deutschland. Es gibt teils förderliche Regelungen für Startups, etwa beim Zuzug von ausländischen Fachkräften (Startup Visa) und ein positives Klima für Tech-Unternehmen. Auch Lettland lockt mit einer Holdingstruktur: Dort kann eine Holdinggesellschaft Auslandsdividenden steuerfrei vereinnahmen und Weiterveräußerungsgewinne steuerfrei realisieren – ähnlich dem deutschen Holdingprivileg, aber mit vereinfachter Verwaltung. In Litauen gibt es seit 2023 eine Art Sandbox für Startups mit steuerlichen Erleichterungen. Im Vergleich zu Offshore-Destinationen hat man innerhalb des Baltikums den Vorteil, dass EU-Richtlinien (z.B. zur steuerneutralen Umstrukturierung oder zur Mutter-Tochter-Richtlinie) gelten. So lassen sich unter Umständen Anteile an einer deutschen GmbH steuerfrei auf eine EU-Holding übertragen (Share-for-Share-Tausch innerhalb der EU) – ein Vorgehen, das mit einer US-Gesellschaft nicht möglich wäre.
Allerdings sind auch Auslandsholdings in Estland & Co. kein Wundermittel ohne Schattenseiten. Zu beachten sind insbesondere:
- Deutsche Besteuerung und Substanz: Wie bei der US-Inc. kann auch eine EU-Holding schnell als in Deutschland steuerpflichtig gelten, wenn die tatsächliche Geschäftsführung hier erfolgt. Eine Briefkasten-OÜ ohne eigenes Büro oder Personal im Baltikum, während alle Entscheidungen in Berlin fallen, dürfte aus Sicht des Finanzamts als Scheinauslagerung behandelt werden. Dann würden die Gewinne der OÜ voll in Deutschland besteuert – Estlands Steuervorteil wäre dahin. Es ist also nötig, zumindest minimale Substanz im Ausland aufzubauen: z.B. ein estnischer Direktor oder echter Verwaltungssitz vor Ort, regelmäßige Vorstandssitzungen in Tallinn, etc.. Gründer unterschätzen oft diesen Aufwand und riskieren eine Hinzurechnungsbesteuerung nach dem deutschen Außensteuergesetz, falls die Auslandsgesellschaft hauptsächlich passive Einkünfte hat. Zwar sind aktive operative Tätigkeiten in der EU von der Hinzurechnung meist ausgenommen, aber die Grenze ist fließend. Kurz: Ohne Planung und Nachweise geht es nicht, sonst steht die Steuerfalle offen.
- Kosten und Compliance: Eine baltische Holding ist zwar in der Gründung günstiger, verursacht aber ebenfalls laufende Kosten: Man braucht einen lokalen Buchhaltungsservice, jährliche Abschlüsse nach dortigem Recht, und oft die Dienste eines Dienstleisters für die E-Residency-Verwaltung. Zudem muss man sich in zwei Ländern mit den Rechtsvorschriften auskennen. Die Ersparnis an Steuern (durch Thesaurierung) muss diese Mehrkosten erst einmal übersteigen. In der Frühphase eines Startups entstehen ohnehin selten Gewinne – der Steuervorteil wirkt also oft erst spät, während die administrativen Doppelstrukturen sofort Aufwand erzeugen.
- Wegzugs- und Auswanderungsaspekte: Nutzt man früh eine Auslandsholding, um eine spätere Wegzugsbesteuerung zu umgehen, sollte man wissen: Deutschland greift zu, wenn ein zuvor hier ansässiger Anteilseigner ins Ausland geht (auch innerhalb der EU). Die zeitlich gestreckte Rückkehrregel (nun 7 Jahre) bietet zwar einen gewissen Aufschub, aber man muss diese Frist im Auge behalten. Wer z.B. seinen Wohnsitz nach Estland verlegt, um dort Steuern zu sparen, darf nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, in Deutschland keine Steuerpflicht mehr zu haben – die Gestaltung bedarf sorgfältiger Beratung. Auch sollte bedacht werden, dass Dividenden aus Estland beim deutschen Empfänger grundsätzlich mit der hiesigen Abgeltungsteuer (25 % zzgl. Soli/KiSt) belegt werden, soweit nicht besondere Strukturen greifen. Die erhoffte Steuerfreiheit kann sich also in eine Steuerstundung verwandeln, die beim „Exit“ (Entnahme des Geldes) nachgeholt wird.
Unterm Strich können baltische Strukturen interessant sein für Gründer, die eine europäische Holdinglösung suchen: Man bleibt im EU-Recht, nutzt aber modernere Verwaltung und das Prinzip „erst Steuern bei Exit“. Doch auch hier gilt: Ohne ausreichende Substanz und Beratung drohen böse Überraschungen. Die Behörden – gerade nach den Enthüllungen um aggressive Steuermodelle großer Konzerne – schauen genau hin. Estland selbst verschärft ab 2024 einige Regeln (z.B. wird die Mehrwertsteuer angehoben), was zeigt, dass auch dort die Zeiten paradiesischer Bedingungen nicht ewig statisch bleiben.
Vorsicht vor der Verlockung „Ausland“: Risiken und Pflichten
Viele Gründer hören von anderen oder lesen in Blogs, man könne durch eine Auslandsholding „deutsche Bürokratie und Steuern hinter sich lassen“. Diese Aussicht ist verführerisch – doch die Realität ist komplexer. Ein paar warnende Punkte zur Einordnung:
- Mehrkosten und Komplexität: Zwei Gesellschaften in verschiedenen Ländern zu betreiben, bedeutet doppelte Fixkosten (Steuerberater, Jahresabschlüsse, Meldepflichten) und juristische Komplexität. Verträge zwischen der Holding und der deutschen Tochter (z.B. Management Fees, IP-Lizenzen) müssen fremdüblich gestaltet sein, sonst droht der Vorwurf verdeckter Gewinnausschüttungen. Auch müssen Transaktionen sorgfältig dokumentiert werden, um beiden Rechtsordnungen zu genügen. Für ein junges Startup ohne erfahrenes Finance-Team kann das schnell überfordernd sein.
- Rechtsberatung unabdingbar: Die Gestaltung einer internationalen Struktur erfordert spezialisierte Anwälte und Steuerberater. Fragen des anwendbaren Rechts, der doppelten Buchführung, der Compliance (Know-Your-Customer, FATCA/CRS-Meldungen) und der steuerlichen Organstellung sind Laien nicht bekannt. Ohne fundierte Beratung läuft man Gefahr, essentielle Pflichten zu verpassen – was im schlimmsten Fall Bußgelder oder Nachzahlungen nach sich zieht. Gründer sollten diese Beratungs- und Verwaltungskosten von Beginn an ehrlich einkalkulieren, statt sie im Eifer zu ignorieren.
- Steuerliche Sperrfristen: Wer mit dem Gedanken spielt, sein in Deutschland aufgebautes Unternehmen später ins Ausland zu „flippen“, muss timing und Fristen bedenken. Beispielsweise greift die deutsche Wegzugsbesteuerung nur, wenn man mindestens 7 Jahre in den letzten 12 Jahren hier unbeschränkt steuerpflichtig war. Ein Gründer, der erst kurz in Deutschland lebte, könnte theoretisch ohne Wegzugsteuer wegziehen – aber die meisten hiesigen Gründer erfüllen die 7-Jahres-Bedingung. Auch die Lock-up-Frist für steuerneutrale EU-Umwandlungen (oft 3-5 Jahre Nicht-Verkauf nach der Transaktion) sollte man kennen, falls man auf solche Regelungen setzt.
- Substance und Meldepflichten: Bereits erwähnt, aber essenziell: Eine Auslandsholding braucht echtes Leben vor Ort, um anerkannt zu werden. Das bedeutet ggf. Reisen für Board Meetings, lokale Verträge und einen Anteil der Geschäftsleitung im Ausland. Zudem gibt es Anzeigepflichten nach § 138 AO: Die Gründung ausländischer Gesellschaften durch Inländer muss dem Finanzamt gemeldet werden. Und das Außensteuergesetz zieht bei gewissen Konstellationen (z.B. Zwischenschaltung von niedrig besteuerten Auslandsgesellschaften) strenge Mitwirkungspflichten nach sich. Eine populäre Gestaltung wie die Malta-Limited mit Interimsgeschäftsführer ist genau an diesen Hürden vielfach gescheitert.
Kurzum: Eine Auslandsgründung ist kein Shortcut, um Pflichten zu entgehen. Sie verlagert oder verdoppelt diese oft nur. Die deutschen Behörden haben in den letzten Jahren ein waches Auge auf solche Konstrukte und verlangen im Zweifel Nachweise dafür, dass ein legitimer Auslandssachverhalt vorliegt. Für Gründer heißt das: Nur mit klarer Strategie und Verständnis ins Ausland gehen – und nicht blind dem Ruf des Steuer-Oasis folgen.
Investorenperspektive 2025: Fordern VCs noch Auslandsstrukturen?
Ein wichtiger Faktor bei der Rechtsformwahl ist die Erwartung der Investoren. In den 2010er Jahren galt es als fast nötig, spätestens zur größeren Finanzierungsrunde eine US-Holding aufzusetzen, da internationale Venture Capitalists ungern in deutsche GmbHs investierten. Doch wie sieht es 2025 aus – verlangen deutsche VCs noch Auslandsstrukturen?
Die Tendenz scheint sich leicht zu ändern. Durch die neuen deutschen Regeln (z.B. ESOP-Erleichterungen und Mehrstimmrechtsaktien) verbessert sich das hiesige Umfeld. Investoren erkennen, dass deutsche Startups nun zumindest einige der früheren Nachteile ausgleichen können. Beispielsweise war die Mitarbeiterbeteiligung ein Knackpunkt: Internationale Investoren favorisieren Modelle, bei denen Mitarbeiter incentiviert sind – hier schafft das ZuFinG Vertrauen, dass auch in Deutschland echte Equity-Pläne umsetzbarer werden. Auch die Möglichkeit, später Dual-Class Shares für einen Börsengang einzuführen, nimmt ein Argument pro US-Struktur weg, denn Gründer könnten nun auch an einer deutschen Börse gelisteten Gesellschaft Kontrolle bewahren.
Allerdings hängt viel von der individuellen Ausrichtung des Startups ab. Wenn absehbar ist, dass man in US-Programme wie Y Combinator möchte oder der Hauptmarkt die USA sein wird, empfehlen Investoren weiterhin, früh eine Delaware-Inc. aufzusetzen. Solche Programme machen das oft zur Bedingung. Ebenso, wenn ein amerikanischer Lead-Investor einsteigt, läuft es fast immer auf eine Inc.-Struktur hinaus, damit die Finanzierung nach US-Recht abgebildet werden kann. In diesen Fällen fordern VCs aktiv den Flip – mit der Begründung der „Marktnähe“ und Standardisierung.
Bei primär europäischen Finanzierungsrunden jedoch sind deutsche oder europäische Holdingstrukturen inzwischen akzeptierter. Einige deutsche VCs betonen, dass sie sich an der GmbH nicht mehr stören, solange die Governance und Vertragsgestaltung professionell sind. Es gibt heute mehr Success Stories von Startups, die als deutsche GmbH gewachsen und sogar mit hohen Bewertungen verkauft oder an die Börse gegangen sind. So etwas relativiert pauschale Forderungen nach Delaware. Zudem kann eine zu frühe Auslandskonstruktion auch abschreckend wirken, wenn sie unnötig kompliziert erscheint oder das Startup dadurch steuerliche Unsicherheiten im Heimatmarkt bekommt.
Fazit aus Investorensicht: Die neuen deutschen Regeln sind noch jung – viele VCs beobachten zunächst, ob sie wirklich greifen. Vollständiges Umdenken braucht Zeit. 2025 dürfte es noch kein einheitliches Bild geben: Einige Investoren setzen weiter auf Bewährtes (Delaware bei globalen Plays), andere vertrauen auf den „neuen“ Standort Deutschland und fordern keinen Wechsel, solange kein konkreter Anlass besteht. Gründer sollten daher früh das Gespräch mit ihren potenziellen Geldgebern suchen. Wichtig ist, überzeugend darzulegen, warum die gewählte Struktur sinnvoll ist – ob man nun die Flexibilität einer Inc. braucht oder bewusst die Vorteile der GmbH nutzen will. Letztlich investieren VCs in das Team und die Geschäftsidee; die Rechtsform ist Mittel zum Zweck.
Fazit: Individuelle Abwägung und Gestaltungstipps
Eine Patentlösung gibt es nicht. Ob eine Gründung in Deutschland als GmbH oder über eine Auslandsholding der bessere Weg ist, hängt von den Zielen und Umständen des Startups ab. Gründer sollten nüchtern folgende Fragen stellen: Wo liegen in den ersten Jahren meine Hauptmärkte und Investoren? Wie wichtig sind mir schnelle Gründung und einfache Abläufe vs. lokale Nähe und Förderung? Bin ich bereit, den Mehraufwand einer Doppelstruktur zu stemmen – und habe ich dafür die richtigen Berater an der Hand?
In vielen Fällen empfiehlt es sich, zunächst auf die deutsche GmbH zu setzen, insbesondere wenn das Startup in Deutschland/EU startet und hier erste Finanzierung sucht. Die GmbH bietet Stabilität und vermeidet anfangs unnötige Komplexität. Dank der Reformen (z.B. steuerlich begünstigte ESOPs und später einführbare Mehrstimmrechtsaktien) lässt sich inzwischen einiges gestalten, was früher nur im Ausland ging. Sollte sich im Laufe der Entwicklung zeigen, dass für das weitere Wachstum eine US-Struktur vorteilhaft oder notwendig wird, kann man immer noch einen geplanten Flip durchführen. Tipp: Vereinbaren Sie bereits in der Gesellschaftervereinbarung der GmbH, dass alle Anteilseigner einem späteren Formwechsel bzw. Share Swap in eine ausländische Holding zustimmen werden, falls strategisch geboten. So vermeiden Sie Blockaden, wenn es ernst wird.
Andererseits gibt es legitime Situationen, in denen eine Auslandsholding von Anfang an Sinn macht – etwa wenn klar ist, dass das Produkt global ausgerichtet ist und früh internationales Venture Capital anziehen soll. In solchen Fällen kann eine Dachgesellschaft im Ausland mit operativer deutscher Tochter ein guter Kompromiss sein. Die operative GmbH stellt sicher, dass man in Deutschland geschäftsfähig ist (Mitarbeiter einstellen, Fördermittel nutzen, Umsatz machen), während die Holding den Kapitalmaßnahmen und der Investorenstruktur im Ausland die gewünschte Flexibilität gibt. Hierbei sollte man unbedingt steuerliche und rechtliche Beratung in beiden Ländern einholen, um z.B. Gewinnabführungswege, IP-Lizenzierungen und Beteiligungsprogramme sauber aufzusetzen. Tipp: Wenn Sie schon früh wissen, dass Sie eine Auslandsholding nutzen wollen, strukturieren Sie so, dass IP-Rechte und Beteiligungen bei der Holding liegen, und die deutsche GmbH als 100%-Tochter fungiert. So können Investoren oder Mitarbeiterbeteiligungen auf Holding-Ebene umgesetzt werden, während in Deutschland „nur“ der laufende Betrieb erfolgt. Wichtig ist auch, eine klar dokumentierte Geschäftsleitungsregelung zu treffen – wer trifft Entscheidungen, wo finden Meetings statt – um den Nachweis des ausländischen Managements führen zu können.
Abschließend noch ein Wort zur Exit-Strategie: Viele Wege führen zum Erfolg, sei es als deutsche GmbH oder als Delaware Inc. Entscheidend ist, dass Verträge und Strukturen frühzeitig exit-fähig gestaltet werden. Beispielsweise sollte ein Investor-Term-Sheet für eine GmbH bereits so formuliert sein, dass es im Falle eines Delaware-Flips leicht auf die Inc. übertragbar ist (Stichwort: “Flip Clause”). Ebenso lohnt es, für Mitarbeiter zunächst virtuelle Optionen zu vergeben, die man später in echte Anteile der etwaigen Holding umwandeln kann – so vermeidet man steuerliche Nachteile durch Landwechsel. Im Kauf- oder Beteiligungsvertrag mit Investoren kann festgehalten werden, welche Strukturvariante beim Exit angestrebt wird (z.B. Share Deal auf Holding-Ebene), damit alle darauf hinarbeiten.
Fazit: Die deutschen Verbesserungen von 2024 machen eine GmbH-Gründung attraktiver als zuvor, doch die Entscheidung hängt von Ihrer Vision ab. Beides – die bodenständige GmbH und die weltgewandte Auslandsholding – kann 2025 der richtige Weg sein. Treffen Sie die Wahl mit kühlem Kopf, lassen Sie sich beraten und planen Sie für die Zukunft mit: Sei es die Option eines späteren Flip in eine Inc. oder das Aufsetzen einer Holding-Struktur von Beginn an mit durchdachter Vertragsgestaltung. So sind Sie gewappnet, um Ihr Startup rechtlich solide und skalierbar aufzubauen – in Deutschland und darüber hinaus.