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Dissens

Definition und rechtliche Grundlagen:

Dissens bezeichnet im deutschen Vertragsrecht das Fehlen einer Willensübereinstimmung zwischen den Vertragsparteien. Er liegt vor, wenn die Parteien bei Vertragsschluss nur scheinbar eine Einigung erzielt haben, tatsächlich aber unterschiedliche Vorstellungen über den Vertragsinhalt haben. Der Dissens ist nicht ausdrücklich im BGB geregelt, ergibt sich aber aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts, insbesondere aus §§ 154, 155 BGB.

Ein Dissens führt grundsätzlich dazu, dass kein wirksamer Vertrag zustande kommt, da die für einen Vertragsschluss erforderliche Willensübereinstimmung fehlt.

Arten des Dissens:

Man unterscheidet verschiedene Arten des Dissens:

1. Offener Dissens:
Die Parteien sind sich bewusst, dass keine Einigung erzielt wurde.

2. Versteckter Dissens:
Die Parteien gehen irrtümlich davon aus, sich geeinigt zu haben.

3. Totaler Dissens:
Keine Übereinstimmung in wesentlichen Vertragspunkten.

4. Partieller Dissens:
Uneinigkeit nur in einzelnen, nicht wesentlichen Punkten.

Rechtliche Behandlung des Dissens:

Die rechtliche Behandlung des Dissens hängt von seiner Art ab:

1. Offener Dissens (§ 154 BGB):
– Kein Vertragsschluss
– Mögliche Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo

2. Versteckter Dissens:
– Grundsätzlich kein Vertragsschluss
– Mögliche Umdeutung oder Vertragsergänzung nach § 155 BGB

3. Partieller Dissens (§ 155 BGB):
– Vertrag kann wirksam sein, wenn anzunehmen ist, dass er auch ohne Einigung über den strittigen Punkt geschlossen worden wäre
– Ergänzende Vertragsauslegung zur Lückenfüllung

Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten:

Der Dissens ist von verwandten Konzepten abzugrenzen:

1. Irrtum:
Beim Irrtum liegt eine fehlerhafte Willensbildung vor, beim Dissens fehlt die Willensübereinstimmung.

2. Auslegung:
Die Auslegung dient der Ermittlung des tatsächlichen Vertragsinhalts, während der Dissens das Fehlen einer Einigung feststellt.

3. Anfechtung:
Die Anfechtung setzt einen wirksamen Vertragsschluss voraus, der beim Dissens gerade nicht vorliegt.

Praktische Bedeutung und Fallkonstellationen:

Der Dissens spielt in verschiedenen praktischen Situationen eine Rolle:

1. Vertragsverhandlungen:
– Unklarheiten über wesentliche Vertragspunkte
– Missverständnisse bei der Kommunikation

2. Standardverträge:
– Widersprüche zwischen AGB der Parteien (“Battle of Forms”)

3. Internationale Verträge:
– Sprachliche und kulturelle Missverständnisse

4. Komplexe Transaktionen:
– Uneinigkeit über technische Details oder Nebenbestimmungen

Rechtsfolgen und Lösungsansätze:

Die Feststellung eines Dissens hat verschiedene Konsequenzen:

1. Nichtigkeit des Vertrags:
Bei totalem Dissens kommt kein Vertrag zustande.

2. Teilnichtigkeit:
Bei partiellem Dissens kann der Vertrag teilweise wirksam sein.

3. Ergänzende Vertragsauslegung:
Lückenfüllung bei partiellem Dissens nach § 155 BGB.

4. Haftung aus culpa in contrahendo:
Möglicher Schadensersatz für nutzlose Aufwendungen.

5. Neuverhandlung:
Parteien können versuchen, den Dissens durch erneute Verhandlungen zu beseitigen.

Prävention und Vermeidung von Dissens:

Um einen Dissens zu vermeiden, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:

1. Klare und präzise Vertragsformulierungen
2. Sorgfältige Dokumentation der Vertragsverhandlungen
3. Verwendung von Definitionen und Begriffsbestimmungen
4. Einsatz von Checklisten für wesentliche Vertragspunkte
5. Professionelle Übersetzungen bei internationalen Verträgen

Aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung:

Die Rechtsprechung zum Dissens entwickelt sich ständig weiter:

1. Digitalisierung:
Neue Fragen im Kontext elektronischer Vertragsschlüsse und automatisierter Systeme.

2. Internationale Aspekte:
Berücksichtigung des Dissens in grenzüberschreitenden Verträgen und im Konflikt mit ausländischen Rechtsordnungen.

3. Komplexe Vertragsstrukturen:
Umgang mit Dissens in mehrstufigen oder vernetzten Vertragsbeziehungen.

4. Branchenspezifische Auslegung:
Berücksichtigung von Branchenstandards und -usancen bei der Beurteilung eines möglichen Dissens.

Zusammenfassung und Ausblick:

Der Dissens ist ein wichtiges Konzept im Vertragsrecht, das die Grenzen der Vertragsfreiheit und die Notwendigkeit einer echten Willensübereinstimmung betont. Seine Behandlung erfordert oft eine sorgfältige Analyse der Vertragsverhandlungen und -dokumente sowie eine Abwägung der Interessen beider Parteien. In einer zunehmend komplexen und globalisierten Geschäftswelt gewinnt die präzise Vertragsgestaltung und -kommunikation weiter an Bedeutung, um Dissens zu vermeiden und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Gleichzeitig bleibt die flexible Handhabung des Dissens durch die Rechtsprechung wichtig, um in Einzelfällen faire und praktikable Lösungen zu finden.

 

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