Ich bin Rechtsanwalt und Unternehmensberater – selbst solo-selbstständig, aber komfortabel in einem Versorgungswerk aufgehoben. Während ich also meinen Altersruhestand theoretisch schon über meine Anwaltsversorgung gesichert habe, beobachte ich schmunzelnd und stirnrunzelnd zugleich, was politisch in Berlin passiert. Die neue Bundesregierung (SPD und CDU/CSU, gerade mal zwei Wochen im Amt) hat sich nämlich ein heißes Eisen vorgenommen: Ab 2025 sollen Solo-Selbstständige verpflichtend für die Rente und Sozialversicherung vorsorgen. Keine Ausreden mehr à la „Ich investiere lieber in Krypto als in die Rentenkasse“. Nein – der Staat spannt den sozialen Schutzschirm jetzt auch über Influencer, Coder, Designer, Handwerker & Co. auf.
SPD-Sozialpolitiker wie Bärbel Bas – frisch zur Arbeitsministerin avanciert – freuen sich: Endlich sollen alle einzahlen. Selbst Gesundheitsministerin Sabine Dittmar applaudiert im Hintergrund, wohl in der Hoffnung, dass abgesicherte Selbstständige dem Gesundheits- und Pflegesystem im Alter weniger zur Last fallen. Die CDU/CSU hingegen nickt etwas ernüchtert mit, pocht aber auf „Gründerfreundlichkeit“: Im Koalitionsvertrag steht, dass man neue Selbstständige zwar zur Altersvorsorge verpflichten will, aber flexibel und mit Augenmaß. Sprich: Wer sich 2025 frisch selbstständig macht, muss entweder in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen oder eine vergleichbar sichere private Vorsorge nachweisen. Man lässt also kleine Fluchttüren offen – typisch CDU, könnte man sagen, Hauptsache die Wirtschaft stöhnt nicht zu laut. Doch was bedeutet das nun konkret für die verschiedenen Spezies der Selbstständigen? Ein persönlicher, augenzwinkernder Lagebericht.
Influencer und Models: Vom #Instalife zur Altersvorsorge
Beginnen wir mit der vielleicht schillerndsten Gruppe: Influencer, YouTuber, OnlyFans-Models und all die digitalen Selbstdarsteller, die bisher dachten, Altersvorsorge bestehe aus Followern und Merch-Verkäufen. Viele von ihnen haben bislang keinen Cent in die Rentenversicherung gesteckt – warum auch, man lebt im Hier und Jetzt, YOLO und so. Tja, damit ist es bald vorbei. Wer ab 2025 als Influencer selbstständig startet, soll entweder in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen oder ein geprüftes privates Polster vorweisen. Für unsere Insta-Stars heißt das: knapp 19 % vom Einkommen könnten künftig Richtung Rentenkasse wandern. 😱 Stellt euch mal vor, ihr müsst von jedem Werbedeal fast ein Fünftel für euer 67-jähriges Ich zurücklegen – das ist mal ein Reality-Check!
Eine Anekdote aus meiner Kanzlei: Letzte Woche rief mich eine panische Lifestyle-Influencerin an (nennen wir sie Lisa). Sie überlegt, ob sie jetzt hastig eine Rürup-Rente abschließen soll, nur um dem Renten-Beitritt zu entgehen. Rürup-Verträge sind zwar steuerlich gefördert, aber auch recht unsexy: Man kommt vor Renteneintritt praktisch nicht ans Geld. Für Lisa fühlt sich das an, als müsste sie ihr Geld in einen Tresor sperren, zu dem sie erst in 30 Jahren den Schlüssel bekommt – kein Shopping davon, kein spontaner Trip nach Bali. Willkommen in der echten Welt der Altersvorsorge! Alternativ könnte sie versuchen, sich als Künstlerin im Sinne der Künstlersozialkasse einzustufen (schließlich macht sie kreative Videos). Doch Hand aufs Herz: Die KSK wird einen Teufel tun und OnlyFans-Content als hohe Kunst anerkennen. Lisa bleibt also nichts anderes übrig, als die bittere Pille zu schlucken: entweder freiwillig vorsorgen (z.B. mit so einem Rürup-Vertrag) oder demnächst pflichtversichert in der Rentenkasse sein. Meine Empfehlung an sie war klar: Mach dich schlau, rechne durch, und fang an, Rücklagen zu bilden – ob privat oder gesetzlich, Hauptsache überhaupt. Denn die Party auf Instagram kann schneller vorbei sein, als der Algorithmus sich ändert.
Kreative und IT-Freelancer: Zwischen KSK und Startup-Mentalität
Kommen wir zur Kategorie Solo-Selbstständige Kreative und IT-Freelancer – also z.B. Grafikerinnen, Texter, Webdesigner, Softwareentwickler. Diese Leute sind oft die freien Radikale der Arbeitswelt: hochspezialisiert, gut vernetzt, aber in Sachen Soziales oft auf Solopfaden unterwegs. Viele Kreative sind zum Glück schon in der Künstlersozialkasse (KSK) versichert – das ist diese wunderliche Einrichtung, bei der der Staat und die Auftraggeber die Hälfte der Sozialbeiträge für Künstler und Publizisten übernehmen. Wer als Freelancer in die KSK passt (etwa der freie Journalist, der Grafikdesigner mit künstlerischem Portfolio, der Fotograf mit künstlerischem Anspruch), der zahlt bisher schon in die gesetzliche Rente ein, allerdings nur etwa die Hälfte des Beitrags, den ein „normaler“ Selbstständiger zahlen müsste. Für diese KSK-Mitglieder ändert sich durch die neue Rentenpflicht erstmal nichts – sie sind bereits vorbildlich abgesichert (zumindest in den Augen der SPD-Sozialpolitiker). Eher im Gegenteil: Vielleicht lohnt es sich jetzt umso mehr, zu prüfen, ob man in die KSK reinkommt. Jeder kreative Solo-Selbstständige, der bisher zögerte („Ach, die Bürokratie…“), sollte ernsthaft überlegen: Flugs KSK-Mitglied werden, bevor die Rentenpflicht einen voll erwischt. Denn innerhalb der KSK zahlt man nur den halben Rentenbeitrag und ist obendrein kranken- und pflegeversichert zu günstigen Konditionen. Ein lohnender Schutz – auch wenn man dafür den Behörden gegenüber seine künstlerische Tätigkeit überzeugend darlegen muss. (Kleiner Tipp am Rande: Den eigenen Job etwas blumiger als „künstlerisch“ darzustellen, hat schon manchem den Weg in die KSK geebnet. Kreativität ist hier nicht nur im Schaffen gefragt, sondern auch bei der Berufsbezeichnung.)
Und was ist mit den IT-Freelancern, den Programmierern und Consultants, die meist nicht als „Künstler“ durchgehen? Für sie gab es bisher die größtmögliche Freiheit – oft kombiniert mit eigenem Risiko. Einige haben privat vorgesorgt (ein gut diversifiziertes ETF-Portfolio ist in der Tech-Szene ja fast so verbreitet wie der dunkle Hoodie), andere vertrauen darauf, ihr nächstes Startup werde die Rente schon finanzieren. Doch ab 2025 heißt es auch für IT-Solisten: Entweder gesetzlich pflichtversichert oder privat mit Nachweispflicht vorsorgen. Die gute Nachricht: Im Koalitionsvertrag steht etwas von „flexiblen Vorsorgeformen“. Es sollen wohl auch andere Altersvorsorge-Varianten anerkannt werden, etwa Immobilien, Aktien-Sparpläne oder private Rentenversicherungen – Hauptsache, sie sind “verlässlich und insolvenzgeschützt“. Wie genau ein Freelancer dem Amt beweisen soll, dass sein ETF-Sparplan „verlässlich“ genug ist, steht noch in den Sternen. (Ich stelle mir herrlich bürokratische Szenen vor: Der Coder muss sein Depot bei der Deutschen Rentenversicherung einreichen – und ein Sachbearbeiter bewertet dann, ob Microsoft, Tesla und Bitcoin-ETF genügend Sicherheit fürs Alter bieten. Viel Spaß dabei!) Realistisch dürfte es auf wenige anerkannte Wege hinauslaufen: Rürup-Rente ist der heißeste Kandidat für eine private Lösung, weil sie bereits jetzt steuerlich begünstigt und nicht kündbar ist – quasi eine privatwirtschaftliche Kopie der gesetzlichen Rente. Oder eben doch der Pflichteinstieg in die gesetzliche Rentenversicherung.
Für Auftraggeber dieser Freelancer bringt die Reform gemischte Gefühle: Einerseits könnte es Rechtssicherheit erhöhen, wenn jeder Freelancer offiziell seine Altersvorsorge am Start hat. Bisher hatten viele Unternehmen ja Sorge, ein freier Mitarbeiter könnte in Wahrheit scheinselbstständig sein und sie müssten am Ende Sozialabgaben nachzahlen. Ein Indiz für Scheinselbstständigkeit war zum Beispiel, wenn der Freelancer keinerlei eigene Vorsorge hatte und wirtschaftlich voll vom Auftraggeber abhing. Dieses Kriterium entfällt künftig bei neuen Selbstständigen – die müssen ja vorsorgen. Allerdings bleibt das Kernproblem: Wann ist ein Freelancer wirklich frei und wann eigentlich ein verkappter Angestellter? Die neue Koalition verspricht hier Entbürokratisierung und klare Abgrenzung. Im Koalitionsvertrag fand sogar ein höchstrichterliches Urteil („Herrenberg“-Fall) Erwähnung, das 2022 für Verwirrung sorgte, weil plötzlich ein Lehrbeauftragter als Arbeitnehmer eingestuft wurde. Man will also Kriterien schärfen, Verfahren beschleunigen (Stichwort: Genehmigungsfiktion – wenn die Clearingstelle nicht rasch entscheidet, gilt der Status als anerkannt) und so die Angst vor dem Damoklesschwert Scheinselbstständigkeit mindern. Als Berater sage ich aber: Verlasst euch nicht blind drauf. Auftragnehmer und Auftraggeber sollten weiterhin darauf achten, Verträge sauber zu formulieren, Weisungsfreiheit und unternehmerisches Handeln deutlich zu machen – kurz: echtes Freelancing zu praktizieren statt verkappte Scheinarbeit. Die Rentenpflicht ändert daran nichts Grundlegendes, außer dass sie künftig eben alle erwischt, ob scheinselbstständig oder echt selbstständig.
Künstler und Fotografen: Alte Bekannte der Pflichtversicherung
Freischaffende Künstler, Publizisten und viele Fotografen sind die Gruppe, für die ich am entspanntesten bin. Warum? Weil für sie schon lange eine besondere Form der Renten- und Sozialversicherungspflicht gilt – über die erwähnte Künstlersozialkasse. Wer als Malerin, Musiker, Schriftstellerin oder eben künstlerischer Fotograf seine Brötchen verdient, ist (sofern die formalen Kriterien erfüllt sind) sowieso Pflichtmitglied in der KSK. Das heißt, diese Leute zahlen jetzt schon verpflichtend in die gesetzliche Rentenversicherung ein, kriegen aber den erwähnten Zuschuss von Staat und Verwertern. Was ändert sich 2025 für diese alten Hasen? Eigentlich kaum etwas. Sie erfüllen ja bereits die Vorsorgepflicht.
Dennoch gibt es ein paar Punkte zu beachten: Erstens könnte die KSK künftig Zulauf bekommen. Alle, die bisher vielleicht so an der Grenze zur „Künstler“-Definition standen und der KSK fernblieben, werden einen neuen Anreiz spüren, doch das Antragsformular auszufüllen. Beispiel: Ein freier Fotograf, der überwiegend Hochzeiten und Firmenevents ablichtet – bisher dachte er, KSK sei nicht für ihn, weil „nicht künstlerisch genug“. Aber wenn er ab 2025 sowieso irgendwo Beiträge abdrücken muss, könnte er überlegen, seine Tätigkeit etwas kreativer darzustellen („fotografische Kunstdokumentation von Lebensereignissen“ klingt doch gleich viel erhabener als „Hochzeitsfotos“). Zweitens sollten Bestandskünstler, die bereits in der KSK sind, mal innehalten und prüfen, ob sie alles aus der Kasse rausholen: Die Rentenpflicht erwischt sie nicht neu, aber vielleicht lohnt es sich freiwillig etwas mehr einzuzahlen (in gewissen Grenzen kann man den Beitrag in der Rentenversicherung freiwillig aufstocken), um spätere Ansprüche zu erhöhen. Denn eins hat die Diskussion wieder ins Bewusstsein gerückt: Auch Künstler leben irgendwann von ihrer Rente – und die fällt oft mager aus, wenn man immer nur das Minimum eingezahlt hat. Drittens ein Wort an Auftraggeber: Wenn mehr Leute über die KSK versichert sind, denkt dran, dass ihr die Künstlersozialabgabe für ihre Honorare abführen müsst. Die liegt aktuell bei rund 5%. Das ist kein Weltuntergang, aber manch einer wird überrascht sein, wenn plötzlich das Finanzamt bzw. die KSK anklopft. Bisher flog das unter dem Radar, doch mit steigender Zahl an KSK-Mitgliedern wird sicher auch die Prüfdichte steigen. Also: Wer regelmäßig Freelancer für Design, Text, Foto beauftragt, sollte die Künstlersozialabgabe kennen, sonst droht böses Erwachen. Aber tröstet euch: Lieber 5% Abgabe als 100% Scheinselbstständigen-Nachforderung.
Einzel-GmbHs (z.B. Games-Entwickler): Schlupfloch oder Sackgasse?
Ein besonders raffinierter Typ Selbstständiger ist der Solo-GmbH-Inhaber. Nehmen wir den Spieleentwickler, der eine Ein-Mann-GmbH gegründet hat: Er ist Geschäftsführer seiner eigenen Firma, oftmals zu 100% Anteilseigner, und zahlt sich selbst ein Gehalt. Klingt erstmal nach einem Angestelltenverhältnis – aber weit gefehlt. Als beherrschender Gesellschafter ist er so gut wie sein eigener Chef, und sozialversicherungsrechtlich gilt er nicht als „richtiger“ Arbeitnehmer. Die Folge: Er musste bisher keine Rentenversicherungsbeiträge für sein Geschäftsführergehalt abführen, sofern er das nicht freiwillig tat. Ein legaler Kniff also, um der Rentenversicherungspflicht (die z.B. für einen freien Entwickler mit nur einem Auftraggeber greifen würde) zu entgehen. Die Frage aller Fragen: Bleibt dieses Schlupfloch ab 2025 offen?
Die Politik hat diese Konstruktion natürlich auf dem Schirm. Im Koalitionsvertrag ist zwar nur von „neuen Selbstständigen“ die Rede, aber jeder Jurist weiß: Ob ich nun als Freelancer ohne Rechtsform arbeite oder mir eine Kapitalgesellschaft dazwischenschalte, am Ende bin ich die selbstständige Person hinter dem Business. Ich rechne fest damit, dass clevere Berater massenhaft empfehlen werden: „Gründe eine GmbH, dann fällst du nicht unter die neue Rentenpflicht.“ Und ich rechne ebenso fest damit, dass der Gesetzgeber entweder nachbessert oder Gerichte entscheiden, dass derjenige wirtschaftlich Selbstständige eben doch erfasst wird. Schließlich ist der Sinn der Reform, alle Solo-Selbstständigen unter den Schirm zu holen, und nicht, neue Rosinenpickerei zu fördern.
Mein Rat an einen Ein-Personen-GmbH-Inhaber (sei es ein Games-Entwickler, Berater oder sonst wer) wäre dennoch: Abwarten, aber vorbereitet sein. Noch ist nicht 100% sicher, wie die Regelung formuliert wird. Es könnte sein, dass formal nur natürliche Personen mit Neugründung ab Stichtag X pflichtig werden. In dem Fall könnte eine GmbH-Gründung tatsächlich (vorübergehend) Schutz bieten. Allerdings ist eine GmbH auch kein Spaziergang: Bilanzierung, höhere Steuerberatungskosten, Mindestkapital – das alles nur, um vielleicht ein paar Jahre Rentenbeiträge zu sparen? Das lohnt sich nur in bestimmten Fällen. Und wehe, die Regierung kommt zwei Jahre später doch drauf, die Lücke zu schließen – dann hat man sich die GmbH ans Bein gebunden und darf trotzdem zahlen. Kurz gesagt: Wer allein deshalb eine GmbH gründen will, um die Rentenpflicht zu umgehen, sollte zwei Mal nachdenken und das Für und Wider gut abwägen (am besten mit jemandem wie mir darüber reden 😉). Es wäre nicht das erste Mal, dass ein cleverer Trick am Ende teurer kommt als das Problem, das er umgehen sollte.
Handwerker: Willkommen im Klub (der war aber eh schon voll)
Last but not least: die Handwerker. Ach, unsere guten Handwerker – ob Elektriker, Tischler, Bäckermeister oder Installateur. Viele von ihnen können bei der aktuellen Debatte eigentlich nur mit den Schultern zucken und sagen: „Was ändert sich? Wir zahlen doch schon immer in die Rentenkasse!“ Tatsächlich besteht für eingetragene Handwerksbetriebe seit jeher eine Rentenversicherungspflicht. Der selbstständige Handwerksmeister musste schon bisher Pflichtbeiträge leisten, zumindest für eine gewisse Zeit (Stichwort: Befreiungsmöglichkeit nach 18 Jahren Beitragszeit – wer so lange eingezahlt hat, durfte sich auf Antrag aus der Rentenversicherung verabschieden, um privat weiterzumachen, falls gewünscht). Viele Handwerker kennen also das Gefühl, jeden Monat brav ihren Rentenbeitrag abzuführen, ohne Arbeitgeberanteil, aus eigener Tasche. Für sie bringt 2025 keine dramatische Neuerung – außer vielleicht der inneren Genugtuung, dass nun auch die bisher „privilegierten“ freien Berufe und Gewerbetreibenden in anderen Branchen mitziehen müssen. Endlich Gleichheit! könnte der Handwerker denken: „Während der Designer jahrelang jede Münze ins eigene Equipment oder den eigenen Konsum stecken konnte, habe ich als Meister immer schon an später gedacht – gezwungenermaßen. Jetzt seid ihr dran, liebe Influencer und ITler!“
Natürlich gibt es auch Handwerker, die bisher aus dem Raster fielen. Etwa Solo-Handwerker ohne Eintrag in der Handwerksrolle (z.B. ein selbstständiger Fliesenleger ohne Meisterbrief, der sich formal als „Dienstleister“ bezeichnen konnte). Die dürften nach neuer Regel ebenfalls nicht mehr davonkommen. Generell wird die Landschaft homogener: Wo bisher Ausnahmen und Schlupflöcher waren, kommt mehr Einheitlichkeit rein. Als Anwalt finde ich das ja grundsätzlich begrüßenswert – klare Regeln für alle, weniger Grauzonen. Aber ich kenne auch die Kehrseite: Einige Handwerker haben die Pflichtbeiträge als Bürde empfunden, vor allem in den Anfangsjahren eines Betriebs. Gerade da, wo das Einkommen noch gering ist, tut jeder Euro weh, der „für später“ weggelegt wird. Die Koalition verspricht zwar, die neue Rentenversicherungspflicht „gründerfreundlich“ zu gestalten. Übersetzt heißt das wohl: Man wird Jung-Selbstständigen anfangs etwas Luft lassen. Vielleicht gibt es einen Schonzeit-Zeitraum von ein, zwei Jahren, in dem man noch nicht einzahlen muss, oder nur Minimalbeiträge. Das gab es in ähnlicher Form schon mal – und es wäre nur fair. Denn ob Handwerker oder Designer: In den ersten Geschäftsjahren lebt man oft eher von Nudeln mit Ketchup als vom großen Reibach. Wenn der Staat hier zu gierig anklopft, erreicht er das Gegenteil – dann melden sich weniger Leute selbstständig an. Es bleibt also spannend, wie flexibel die Umsetzung letztlich wird.
Fazit: Altersvorsorge – lästige Pflicht oder notwendiges Übel?
Als jemand, der nicht in der gesetzlichen Rente, sondern im Versorgungswerk abgesichert ist, habe ich gut reden: Ich zahle ohnehin jeden Monat einen stattlichen Betrag – aber wenigstens weiß ich, es ist fürs Alter, und ich komme gar nicht erst in Versuchung, das Geld anderweitig zu verprassen. Viele meiner selbstständigen Mandanten dagegen mussten sich diese Disziplin erst mühsam selbst auferlegen – oder taten es gar nicht. Da liegt der Hase im Pfeffer: So sehr wir die neue Renten- und Sozialversicherungspflicht als Eingriff in die unternehmerische Freiheit kritisieren können, so wahr ist auch: Es gibt erschreckend viele Solo-Selbstständige, die null fürs Alter zurücklegen. Sei es aus Unwissenheit, Nachlässigkeit oder weil das Einkommen kaum zum Leben reicht – das Ergebnis wäre oft Altersarmut und am Ende doch der Gang zum Sozialamt. Aus dieser Sicht kann ich der Politik keinen Vorwurf machen, wenn sie sagt: „Leute, sorgt vor – notfalls zwingen wir euch dazu, eurer Zukunft nicht egal zu sein.“ Das mag bevormundend klingen, aber wir akzeptieren ja auch die Gurtpflicht im Auto, obwohl sie unsere Freiheit einschränkt, einfach so rumzufahren.
Dennoch bleibt die Kritik nicht aus: Verbände der Selbstständigen und auch manche Parteien (hallo, FDP in der Opposition) warnen, dass die Rentenversicherungspflicht die Attraktivität der Selbstständigkeit schmälert. Wer gründet schon gern ein Startup, wenn er sich gleich mit Rentenformularen und -beiträgen rumschlagen muss? Hier wird die konkrete Ausgestaltung entscheidend sein. Wenn es tatsächlich einfach und flexibel läuft – z.B. ein One-Stop-Online-Nachweisportal, wo ich meinen Vorsorgeweg eintrage, und fertig – dann lässt sich damit leben. Wenn aber am Ende bürokratischer Overkill steht und man jeden Cent Anlagevermögen offenlegen muss, wird der Aufschrei groß.
Mein persönlicher Standpunkt: Ich begrüße die Zielrichtung, aber ich habe ein Auge auf die Nebenwirkungen. Als Rechtsanwalt weiß ich: gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Ich werde meinen Mandanten jedenfalls raten, proaktiv zu handeln: Wer heute schon selbstständig ist und nicht einzahlen muss, sollte die Zeit nutzen, um freiwillig was beiseite zu legen – man weiß nie, ob in ein paar Jahren doch eine Pflicht auch für Bestands-Selbstständige kommt (SPD-Ministerin Bas denkt laut darüber nach, alle – auch bestehende – Selbstständigen und sogar Beamte in die Rentenkasse zu holen!). Wer überlegt, 2025 oder danach zu gründen, sollte die zusätzlichen Kosten im Businessplan einrechnen. Und wer kreativ tätig ist, sollte sich jetzt sofort mit der Künstlersozialkasse beschäftigen – es könnte der Unterschied zwischen halbem und vollem Beitrag sein.
Zum Schluss noch ein Stückchen Galgenhumor: In meiner Beratungspraxis witzeln wir schon, dass diese Reform ein „Anwalt-Beschäftigungsprogramm“ wird. Es gibt so viele Detailfragen (von „Zählt meine vermietete Wohnung als Altersvorsorge?“ bis „Kann ich mich mit 55 aus der Pflicht raus kaufen?“), dass meinem Berufsstand sicher nicht langweilig wird. Aber Spaß beiseite – uns allen muss klar sein: Die Spielregeln für Selbstständige ändern sich gerade grundlegend. Die Rentenpflicht mag lästig erscheinen, doch sie ist nun mal politisch gewollt und kommt. Man kann lamentieren oder das Beste draus machen.
Ich für meinen Teil werde weiterhin unabhängig beraten, mit einem Augenzwinkern auf die Absurditäten hinweisen und meinen Mandanten helfen, die für sie beste Vorsorgestrategie zu finden – gesetzlich, privat oder hybrid. Und vielleicht, ganz vielleicht, schlummern dann in 30 Jahren ein paar heute junge Influencer dank dieser Reform mit einer passablen Rente im Schaukelstuhl, statt auf Twitch um Spenden bitten zu müssen. In diesem Sinne: YOLO war gestern – denkt an morgen!