Ein neues BGH-Urteil sorgt für eine Schockwelle in der Coaching-Branche: Am 12. Juni 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass bestimmte hochpreisige Online-Coaching- und Mentoring-Programme als Fernunterricht im Sinne des Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) einzustufen sind. Ohne behördliche Zulassung durch die Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) sind solche Verträge nichtig. Diese Entscheidung – das BGH Coaching-Urteil 2025 (Az. III ZR 109/24) – betrifft nach Ansicht von Experten bis zu 95–99 % aller Anbieter, die Online-Coachings oder Mentoring verkaufen. Mit anderen Worten: Fast alle bestehenden Online-Coaching- und Mentoringverträge könnten rückwirkend nichtig sein, und Kunden dürfen noch Jahre später ihr Geld zurückverlangen. Obendrein drohen Anbietern Behörden-Bußgelder bis ~10.000 € pro Programm sowie wettbewerbsrechtliche Abmahnungen mit Vertragsstrafen über 50.000 €. Klingt dramatisch? Im Folgenden analysieren wir das Urteil im Detail – was genau der BGH entschieden hat, welche Tatbestandsmerkmale nach § 1 Abs. 1 FernUSG erfüllt sein müssen und warum das entschiedene Programm darunter fällt. Außerdem zeigen wir verständlich, welche Arten von Coachingprogrammen nun betroffen sind und welche nicht – mit klaren Listen und Beispielen. (Spoiler: Auch B2B-Coachings für Selbstständige sind künftig nicht ausgenommen.)
Hintergrund: Das BGH-Urteil vom 12. Juni 2025
Im zugrunde liegenden Fall hatte ein Teilnehmer im April 2021 einen Vertrag über ein 9-monatiges „Business-Mentoring-Programm Finanzielle Fitness“ zu einem Preis von 47.600 € abgeschlossen. Das Programm umfasste regelmäßige Online-Meetings (alle zwei Wochen, teils mit Aufzeichnung), Lehrvideos, Hausaufgaben, einen Workshop und sogar einige Einzelcoaching-Sitzungen. Der Anbieter hatte jedoch keine ZFU-Zulassung für dieses Angebot. Der Kunde zahlte zunächst 23.800 € und startete das Programm, kündigte aber nach sieben Wochen enttäuscht und verlangte die Rückzahlung des bereits gezahlten Betrags. Das OLG Stuttgart gab ihm Recht und erklärte den Vertrag wegen Verstoßes gegen das FernUSG für nichtig. Die Revision der Anbietern scheiterte – der BGH bestätigte am 12.06.2025 die Nichtigkeit des Vertrages und wies die Revision zurück.
Die Folge: Weil die nach § 12 Abs. 1 S. 1 FernUSG erforderliche staatliche Zulassung fehlte, war der Coachingvertrag automatisch unwirksam (nichtig). Der Teilnehmer hatte einen Bereicherungsanspruch und konnte seine 23.800 € zurückfordern. Der Anbieter ging leer aus: Mangels Zulassung stand ihm weder der Restbetrag zu, noch Wertersatz für die bereits absolvierten sieben Wochen, da er keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Wertminderung der Bereicherung darlegen konnte.
Bemerkenswert ist, dass der BGH klarstellte, dass das FernUSG auch auf Verträge zwischen Unternehmern Anwendung findet. Entgegen mancher früheren Auffassung gilt der Schutz also nicht nur im B2C-Bereich, sondern auch im B2B. Teilnehmer („Lernende“) können ebenso gut Selbstständige oder Unternehmer sein – das Gesetz macht hier keinen Unterschied. Dieses weit verstandene Schutzziel des FernUSG hat der BGH ausdrücklich bestätigt.
Schauen wir uns nun die Tatbestandsmerkmale des Fernunterrichts nach § 1 Abs. 1 FernUSG an, die der BGH im entschiedenen Fall geprüft hat: Was genau macht ein Online-Coaching zu „Fernunterricht“?
Fernunterricht nach § 1 Abs. 1 FernUSG – Kriterien und Anwendung auf Coaching
Das Fernunterrichtsschutzgesetz definiert Fernunterricht als “die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende den Lernerfolg überwacht”. Vereinfacht gesagt müssen drei Merkmale gegeben sein, damit ein Coachingprogramm als Fernunterricht gilt und unter das FernUSG fällt:
- Entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten (auf Vertragsbasis)
- Räumliche Trennung von Lehrendem und Lernendem (ausschließlich oder überwiegend)
- Überwachung des Lernerfolgs durch den Lehrenden (oder seinen Beauftragten)
Der BGH prüfte im Urteil alle drei Kriterien und bejahte sie für das Mentoring-Programm „Finanzielle Fitness“. Im Einzelnen:
1. Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten
Das erste Merkmal war aus Sicht des Gerichts eindeutig erfüllt. Im streitgegenständlichen Programm sollten den Teilnehmern Kenntnisse in Marketing, Vertrieb und Unternehmensorganisation vermittelt werden, es ging um „Wissen“, „Know-how“ und „finanzielle Bildung“ – der Anbieter nannte sich selbst sogar „Akademie“. Damit lag eine Wissens- und Fähigkeitsvermittlung vor und nicht bloß irgendeine Form von persönlichem Coaching.
Wichtig ist hierbei die Abgrenzung zu rein individueller Beratung: Der BGH betonte, dass es sich nicht um ein Coaching/Mentoring handelte, bei dem hauptsächlich persönliche Beratung und Begleitung des Kunden im Vordergrund stehen. Wäre es ein solch individuelles Eins-zu-eins-Coaching ohne vorgegebene Lerninhalte, wäre fraglich, ob hier überhaupt „Kenntnisse und Fähigkeiten“ im Sinne des FernUSG vermittelt werden. Diese schwierige Abgrenzungsfrage hat der BGH bewusst offengelassen, weil im konkreten Fall eben standardisierte Lernziele und Inhalte im Vordergrund standen. Selbst wenn das Programm einige persönliche Coaching-Elemente enthielt (z.B. zwei individuelle Online-Sitzungen zur Lösung persönlicher Blockaden), waren diese nicht der Schwerpunkt, sondern nur Ergänzung. Entscheidend war die systematische Wissensvermittlung in allgemeingültigen Bereichen (unabhängig von der individuellen Situation der Teilnehmer).
Damit folgt der BGH einer weiten Auslegung des Begriffs Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Nach seiner Auffassung umfasst dies „jegliche“ Form der Wissens- und Könnenvermittlung, unabhängig von Thema, Niveau oder der Bezeichnung als „Coaching“ oder „Mentoring“. Es kommt also nicht darauf an, ob es sich um eine klassische Ausbildung handelt oder um „weiche“ Inhalte wie Persönlichkeitsentwicklung oder Mindset – solange der Fokus auf dem Vermitteln von Wissen/Fähigkeiten liegt, greift das FernUSG. Selbst Angebote, die an Unternehmer gerichtet sind und z.B. „persönliche Entwicklung“ oder unternehmerische Skills zum Ziel haben, fallen darunter, wenn das Programm auf Wissensvermittlung ausgerichtet ist. Eine Mindestqualität oder formeller Abschluss ist nicht erforderlich. Fazit: Die allermeisten strukturierten Coaching-Kurse vermitteln irgendeine Art von Wissen – genau das reicht bereits für Kriterium 1.
2. Räumliche Trennung (überwiegend oder ausschließlich)
Zweitens fordert § 1 Abs. 1 FernUSG, dass Lehrende und Lernende überwiegend räumlich getrennt agieren. Im klassischen Sinne meint das: Distanzunterricht statt Präsenzunterricht. Beim Online-Mentoring-Programm war diese Voraussetzung ebenfalls erfüllt – schließlich fand das Programm vollständig virtuell statt (über Video, E-Learning-Plattform, E-Mail, etc.), Lehrperson und Teilnehmer befanden sich nie im selben Raum.
Allerdings stellt sich im digitalen Zeitalter die Frage, ob auch Live-Onlineunterricht („synchron“) als räumliche Trennung gilt. Hier hat der BGH einen interessanten Aspekt hervorgehoben: Im entschiedenen Fall waren die Online-Meetings zwar live, wurden aber aufgezeichnet und den Teilnehmern hinterher zum Abruf bereitgestellt. Dadurch konnten die Inhalte zeitversetzt angeschaut werden, eine Echtzeit-Teilnahme war nicht zwingend nötig. Der BGH ordnete daher selbst die an sich synchronen Live-Calls den asynchronen Unterrichtsanteilen zu. Weil das Programm überwiegend aus vorproduzierten oder aufzeichnungsbasierten Elementen bestand (Videos, Hausaufgaben, abrufbare Calls), lag eine überwiegende räumliche Trennung vor. Ob rein synchroner Live-Online-Unterricht ohne Aufzeichnungen als „räumlich getrennt“ zählt, hat der BGH offen gelassen – darauf kam es in diesem Fall nicht an.
Nach bisheriger Auffassung der ZFU und mancher Gerichte gilt: Findet ein Online-Training ausschließlich live und interaktiv statt (wie in Präsenz), liegt keine räumliche Trennung i.S.d. FernUSG vor. Solche präsenzäquivalenten Live-Webinare wären demnach nicht zulassungspflichtig. Erst wenn zeitversetztes E-Learning ins Spiel kommt (Videos, Unterlagen zum Selbststudium etc.), greift das FernUSG. Im BGH-Fall überwog eindeutig der zeitversetzte Anteil. Man kann also festhalten: Die meisten Online-Coachingprogramme mit Video-Lektionen, aufgezeichneten Calls und digitalem Support erfüllen dieses Distanz-Kriterium. Reine Vor-Ort-Trainings oder komplett synchrone Online-Coachings hingegen nicht – dazu unten mehr.
3. Überwachung des Lernerfolgs
Drittes Merkmal: Der Lehrende muss den Lernerfolg der Teilnehmer überwachen (kontrollieren). Hier hat der BGH – wie schon in früherer Rechtsprechung – keine strengen Anforderungen gestellt. Es genügt bereits eine niedrige Schwelle an Lernerfolgskontrolle. Im Wesentlichen heißt das: Wenn den Lernenden zumindest die Möglichkeit geboten wird, Fragen zum Stoff zu stellen und individuelle Rückmeldung zu erhalten, ist die Lernkontrolle erfüllt.
Im entschiedenen Mentoring-Programm war genau das der Fall. Laut Beschreibung durften die Teilnehmer in den Online-Meetings, per E-Mail oder in der Facebook-Gruppe Fragen stellen. Dieses Fragerecht bezog sich ausdrücklich auch auf Verständnisfragen zum gelernten Stoff – der Teilnehmer konnte also prüfen, ob er alles richtig verstanden hat und anwenden kann. Damit war eine persönliche Lernkontrolle durch den Coach vertraglich vereinbart, was nach Ansicht des BGH schon als Überwachung des Lernerfolgs ausreicht. Eine förmliche Prüfung oder Benotung ist nicht erforderlich. Entscheidend ist das Element der Rückkopplung: Mindestens eine Möglichkeit zur individuellen Erfolgskontrolle muss bestehen (z.B. mündliche oder schriftliche Fragen, Hausaufgaben-Feedback, Tests). Der BGH verweist hier auch auf sein früheres Urteil von 2009, das genau dies festhielt.
Hinweis: Einige Gerichte hatten in der Vergangenheit etwas unterschiedlich entschieden, was als ausreichende Lernerfolgskontrolle gilt. Beispielsweise verneinte das OLG Köln 2023 Fernunterricht, weil keine echte Kontrolle vereinbart war – eine bloße „Fragenflatrate“ ohne Überprüfung erworbenen Wissens sah es nicht als Überwachung im Wortsinn. Das OLG Hamburg 2024 entschied ähnlich: Nur für Rückfragen „zur Verfügung stehen“ sei noch keine Überwachung, da ein aktives Kontrollelement fehle. Der BGH stellt sich jedoch auf den Standpunkt, dass schon die Möglichkeit persönlicher Rückfragen und Rückmeldungen genügt – also eher großzügige, niedrigschwellige Anforderungen an die Lernkontrolle. Im Zweifel kommt es darauf an, was vertraglich zugesichert wird: Wird den Kunden z.B. individuelles Feedback oder eine Erfolgskontrolle (Prüfung, Zertifikat etc.) versprochen, liegt Fernunterricht nahe. Fehlt jegliche Betreuungs- oder Kontrollmöglichkeit, ist es eher reines Selbstlernmaterial – dann kein Fernunterricht.
Zusammenfassend hat der BGH alle drei Tatbestandsmerkmale im vorliegenden Fall bejaht: Es handelte sich um ein entgeltliches, vertraglich geregeltes Programm zur Wissensvermittlung, überwiegend ortsunabhängig durchgeführt, mit persönlicher Lernbetreuung (Fragemöglichkeit). Somit war das Angebot Fernunterricht i.S.d. FernUSG. Da die ZFU-Zulassung fehlte, war der Vertrag nach § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig. Im nächsten Schritt stellt sich für viele die Frage: Welche Coaching-Programme sind nach diesem Urteil von der ZFU-Pflicht betroffen – und welche nicht?
Welche Coachingprogramme sind jetzt betroffen?
Das BGH-Urteil gilt als Meilenstein und hat den Anwendungsbereich des FernUSG sehr weit gesteckt. In der Praxis dürften die meisten gängigen Online-Coaching-Angebote die Kriterien erfüllen – und benötigen daher fortan eine ZFU-Zulassung, andernfalls sind ihre Coachingverträge nichtig. Gleichzeitig gibt es einige Konstellationen, die nicht unter das FernUSG fallen. Hier ein Überblick, welche Arten von Coachingprogrammen nun betroffen sind und welche nicht:
Betroffen (ZFU-pflichtig) sind insbesondere:
- Standardisierte Online-Kurse, Coachings oder Mentoring-Programme, die systematisch Wissen vermitteln (z.B. Business-Coachings, Marketing-Kurse, Finanz- oder Mindset-Programme mit definierten Lernmodulen). Entscheidend ist, dass vordefinierte Inhalte/Lernziele für alle Teilnehmer gelten und nicht bloß individuelle Beratung erfolgt.
- Mehrmonatige Online-Programme mit gemischten Formaten, z.B. Video-Lektionen, Webinare/Live-Calls und schriftliches Material, kombiniert mit Betreuungsangebot (Fragerunden, Feedback, Hausaufgaben etc.). Solche hybriden E-Learning-Formate erfüllen in der Regel alle Fernunterricht-Merkmale.
- Angebote mit regelmäßigen Online-Meetings oder Q&A-Sessions, die oft zusätzlich aufgezeichnet oder durch asynchrone Inhalte ergänzt werden. Gerade hochpreisige Coaching-Programme am Markt setzen meist auf eine Mischung aus Live-Betreuung und On-Demand-Lerninhalten – auch diese fallen jetzt klar unter das FernUSG.
- Programme mit irgendeiner Form von Lernerfolgskontrolle: z.B. Hausaufgaben mit Feedback, Quiz/Tests, Abschlusszertifikat oder schlicht der vertraglichen Zusicherung, dass Fragen gestellt und beantwortet werden dürfen. Schon eine einzelne solche Kontrollmöglichkeit macht den Vertrag zum Fernunterricht. (Die meisten Coachingangebote werben ja gerade mit persönlicher Betreuung – das erfüllt meist bereits die Lernkontrolle.)
- Online-Trainings unabhängig vom Teilnehmerkreis: Egal ob das Angebot sich an Verbraucher oder Unternehmer richtet – B2C und B2B-Coachings unterliegen gleichermaßen der ZFU-Pflicht, sofern die Fernunterricht-Kriterien erfüllt sind. Der BGH hat klargestellt, dass auch Selbstständige und angehende Unternehmer den Schutz des FernUSG genießen, nicht nur Verbraucher.
Beispiel: Ein 6-monatiges Online-Business-Coaching mit Video-Lektionen, wöchentlichen Live-Zoomcalls (aufgezeichnet), einer betreuten Facebook-Gruppe und klar definierten Kursinhalten (z.B. Marketingstrategie, Mindset-Training) benötigt jetzt eine ZFU-Zulassung. Ohne Zulassung wäre der Coachingvertrag nichtig – der Kunde könnte bereits gezahlte Gebühren zurückfordern, und der Coach dürfte ausstehende Raten nicht verlangen.
Nach dem BGH-Urteil kann man sagen: Die Mehrheit der aktuellen Online-Coachingprogramme am Markt ist betroffen. Brancheninsider sprechen davon, dass fast alle Online-Coaching- und Mentoringverträge nun zulassungspflichtig wären. Gerade die typischen „Hochpreis-Coachings“ (>5.000 €), die ein skalierbares Online-Modell mit Videokurs + Gruppenbetreuung fahren, müssen sich grundlegend umstellen oder eine Zulassung einholen.
Nicht (oder eher nicht) betroffen sind meist:
- Reine Präsenz-Trainings oder Live-Seminare vor Ort. Klassische Workshops, bei denen Coach und Kunde physisch zusammentreffen, fallen nicht unter Fernunterricht (keine räumliche Trennung).
- „Präsenzäquivalente“ Online-Veranstaltungen: Das heißt Live-Webinare oder Live-Coachings ohne Aufzeichnung, bei denen der Coach zwar online zugeschaltet ist, aber in Echtzeit direkt mit den Teilnehmern interagiert – quasi virtuelle Präsenz. Wenn sämtliche Inhalte synchron und ohne zeitversetztes Material vermittelt werden, sah die ZFU darin bisher keinen Fernunterricht. (Hier bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber diese Abgrenzung künftig bestätigt. Der BGH hat zumindest nicht widersprochen, solange nichts aufgezeichnet wird.)
- Individuelle 1:1-Coachings und Beratung, ohne vordefinierten Lehrplan: Wenn ein Coach ausschließlich personalisiert auf die Situation des Klienten eingeht und kein standardisiertes Kursprogramm dahintersteht, kann argumentiert werden, dass keine Wissensvermittlung „im Sinne des FernUSG“ stattfindet. Hier steht die persönliche Beratung im Vordergrund, nicht der Unterrichtsstoff. Beispiel: Ein Business-Mentor, der sich wöchentlich individuell den aktuellen Fragen eines einzelnen Gründer-Coachees widmet, ohne feste Agenda oder Lernziele, dürfte eher nicht unter das FernUSG fallen. (Achtung: Sobald aber z.B. Lernmodule oder festgelegte Themen abgearbeitet werden, sieht es anders aus.)
- Selbstlernkurse ohne Betreuung: Bietet jemand z.B. nur Video-Tutorials oder E-Books zum Kauf an, ohne jegliche Begleitung, Feedback oder Prüfungen, fehlt das Merkmal der Lernerfolgskontrolle. Solche reinen Selbstlernangebote gelten nicht als Fernunterricht. Achtung: Hier muss tatsächlich null Interaktion gegeben sein – schon eine „Frag-mich-alles“-Gruppe oder Sprechstunde würde wieder als Erfolgskontrolle zählen.
- Hobby-Kurse zur Freizeitgestaltung: Das FernUSG kennt die Kategorie der Hobby-Lehrgänge. Kurse, die ausschließlich der Unterhaltung oder privaten Freizeit dienen (z.B. ein Online-Malkurs für Hobbymaler ohne beruflichen Bezug), unterliegen zwar grundsätzlich dem FernUSG, sind aber von der Zulassungspflicht ausgenommen. Das heißt, auch wenn ein Angelkurs online Wissen vermittelt und Fernunterricht wäre, muss er nicht von der ZFU zugelassen werden, solange er klar erkennbar nur dem Hobby dient. (Berufsbezogene Weiterbildungen hingegen immer zulassungspflichtig.)
Merke: Keine Zulassung nach FernUSG braucht man bei kostenfreien Angeboten, bei Präsenz oder voll live durchgeführten Formaten, bei reinen Selbstlernkursen ohne individuelle Kontrolle und bei reinen Hobbykursen. In allen anderen Fällen sollte man im Zweifel von Zulassungspflicht ausgehen. Die Rechtsprechung der letzten Jahre war teilweise uneinheitlich in Detailfragen – umso mehr ist nun Vorsicht geboten.
Diskussion und Konsequenzen für die Coaching-Branche
Die Entscheidung des BGH hat in der Online-Coaching-Szene erhebliche Diskussionen ausgelöst. Viele Anbieter, die bisher dachten, ihr Kursmodell falle nicht unter regulierte Fernlehrgänge, sehen sich nun eines Besseren belehrt. Rechtsanwalt Notash Taheri kommentierte auf LinkedIn, der BGH habe in höchster Instanz quasi alle coach-freundlichen Urteile der OLGs über den Haufen geworfen – betroffen seien „95 bis 99 % aller Anbieter“ im Online-Coaching-Markt. Nahezu jedes Online-Coaching-Angebot braucht ab sofort eine ZFU-Zulassung oder muss grundlegend umstrukturiert werden, so Taheri weiter. Er spricht von einem „Schock“ für die Branche, aber auch von einer längst überfälligen Klarstellung. Denn bislang nutzten einige Coaches rechtliche Grauzonen, um hochpreisige Kurse ohne staatliche Kontrolle anzubieten.
Warum dieser ganze Aufwand? – Das Fernunterrichtsschutzgesetz stammt aus den 1970er Jahren und dient primär dem Teilnehmerschutz. Es soll verhindern, dass Bildungswillige durch unseriöse Fernlehr-Angebote übervorteilt werden. Die ZFU-Zulassungspflicht stellt sicher, dass Inhalte und Vertragsbedingungen eines Fernlehrgangs geprüft wurden und gewisse Qualitätsstandards erfüllen. Anbieter ohne Zulassung durften ihre Fernkurse bislang eigentlich gar nicht offiziell bewerben oder anbieten. Faktisch geschah es dennoch häufig, gerade im unregulierten Coaching-Markt. Der BGH zieht nun die Konsequenz: Verträge ohne Zulassung sind nichtig – Teilnehmer können ihr Geld zurückverlangen, egal ob Verbraucher oder Unternehmer. Das Urteil stärkt damit die Position der Kunden erheblich und grenzt sich klar gegen intransparente Geschäftsmodelle im Coaching-Markt ab.
Für Coach-Ausbilder und Online-Trainer bedeutet dieses Urteil, dass sie ihr Angebot genau prüfen müssen. Viele Programme werden nun zulassungspflichtig, was mit Aufwand und Kosten verbunden ist – eine ZFU-Prüfung kann mehrere Monate dauern und Gebühren von mindestens ~1.050 € (bis zu 150 % des Kurspreises) auslösen. Allerdings sind das Investitionen in Qualität und Rechtssicherheit. Einige Anbieter werden eventuell ihr Konzept ändern, z.B. Betreuung und „Lernkontrolle“ reduzieren, um gerade so aus dem FernUSG herauszufallen. Doch Vorsicht: Die Gerichte schauen genau hin, ob nicht doch faktisch Wissen vermittelt und kontrolliert wird. Die Abgrenzung im Einzelfall kann schwierig sein. Im Zweifel gilt: Lieber Zulassung beantragen, als später mit Nichtigkeitsansprüchen konfrontiert zu werden.
Zusätzlich könnten nun auch Widerrufs- und Kündigungsrechte analog Verbraucherrecht für Unternehmer greifen, wenn ein B2B-Coaching als Fernunterricht einzustufen ist. Der BGH hat nämlich durchblicken lassen, dass sämtliche verbraucherfreundlichen Schutzvorschriften des FernUSG dann auch für Unternehmer gelten. Das erhöht die Anforderungen an faire Verträge weiter.
Fazit: Das BGH-Urteil ist ein Weckruf für die Branche
Der BGH hat mit seinem Coaching-Urteil 2025 unmissverständlich klargemacht, dass Online-Coaching nicht im rechtsfreien Raum stattfindet. Fernunterricht ist Fernunterricht – egal, ob man es „Mentoring“ oder „Mastermind“ nennt. Anbieter sollten die Entscheidung ernst nehmen und ihre Programme und Verträge jetzt kritisch überprüfen. Standardisierte Online-Coachings ohne ZFU-Zulassung weiterlaufen zu lassen, wäre hochriskant.
Optionaler Hinweis: Wenn ihr selbst Coach oder Kursanbieter seid, lasst umgehend eure Verträge und Kurskonzepte juristisch prüfen. Müsst ihr euer Coachingprogramm bei der ZFU zulassen? Entspricht euer Vertrag den Formvorschriften des FernUSG? Ggf. solltet ihr Verträge anpassen (z.B. klare Informationen, Widerrufsbelehrung, Pflichtangaben nach FernUSG) und das Zulassungsverfahren einleiten. Die Investition jetzt bewahrt euch vor Rückabwicklungsforderungen und rechtlichem Ärger in der Zukunft. Denn eines ist klar: Ein Coachingvertrag ohne erforderliche ZFU-Zulassung ist – Stand jetzt – unwirksam. Wer hochwertige Online-Trainings anbieten will, kommt an diesem Thema nun nicht mehr vorbei.
Weiterführender Link: Das vollständige BGH-Urteil vom 12.06.2025 (Az. III ZR 109/24) kann hier nachgelesen werden. Darin konkretisiert der BGH auf ~20 Seiten ausführlich die Anwendung des FernUSG auf moderne digitale Lernangebote – Pflichtlektüre für alle, die in diesem Bereich tätig sind.