Viele Startups entstehen aus einer spontanen Idee heraus, oft zwischen Freunden, Studienkollegen oder ehemaligen Kollegen aus einem früheren Projekt. In der Euphorie der Anfangszeit stehen Produktentwicklung, Kundengewinnung und erste Finanzierungsrunden ganz oben auf der Prioritätenliste. Rechtliche Fragen werden häufig vertagt, nicht selten aus der Überzeugung heraus, dass man „sich ja kennt“ und Probleme daher schon irgendwie lösen könne. Dieses Vorgehen ist nachvollziehbar, birgt aber ein erhebliches Risiko: Fehlende oder unklare vertragliche Grundlagen können ein junges Unternehmen schon in der Frühphase lähmen – und das oft zu einem Zeitpunkt, an dem das Projekt am verletzlichsten ist. Einer der größten Denkfehler ist, den Gesellschaftervertrag für ein umfassendes Regelwerk zu halten, das automatisch alle Aspekte der Zusammenarbeit abdeckt. In Wahrheit ist er vor allem ein formales und rechtlich vorgeschriebenes Fundament, das wichtige operative Fragen bewusst offenlässt. Wer diese Lücke nicht durch ergänzende Dokumente wie ein Founder’s Agreement oder eine Geschäftsordnung schließt, riskiert, dass interne Konflikte ungebremst eskalieren.
Der Gesellschaftervertrag – formaler Rahmen ohne automatische Arbeitspflicht
Der Gesellschaftervertrag ist das Herzstück jeder Kapitalgesellschaft. Bei einer GmbH oder UG handelt es sich um ein notariell zu beurkundendes Dokument, ohne das die Gesellschaft nicht existiert. Er enthält gesetzlich zwingende Angaben wie die Firma, den Sitz, den Unternehmensgegenstand, die Höhe und Verteilung des Stammkapitals sowie die einzelnen Geschäftsanteile. Hinzu kommen häufig individuell vereinbarte Klauseln, die auf die Besonderheiten des Unternehmens zugeschnitten sind, etwa Vorkaufsrechte, Drag- und Tag-Along-Regelungen, Liquidationsbestimmungen oder besondere Zustimmungserfordernisse für wichtige Geschäftsentscheidungen.
Was er jedoch nicht automatisch enthält – und das ist für viele Gründer überraschend – sind Pflichten zur aktiven Mitarbeit. Der Gesellschaftervertrag begründet keine arbeitsrechtliche oder dienstvertragliche Verpflichtung. Selbst wenn ein Gründer zu Beginn maßgeblich operativ tätig war, kann er sich später vollständig aus dem Tagesgeschäft zurückziehen, ohne dass dies allein aus gesellschaftsrechtlicher Sicht eine Vertragsverletzung darstellt. Dieses rechtliche „Schlupfloch“ kann erhebliche Spannungen erzeugen: Das Team rechnet mit aktiver Mitarbeit, während ein Mitgesellschafter faktisch nur noch auf seine Gewinnbeteiligung wartet. Ohne ergänzende Vereinbarungen kann dies weder verhindert noch sanktioniert werden. Hier zeigt sich, dass der Gesellschaftervertrag in seiner Grundform vor allem die rechtliche Struktur der Gesellschaft festlegt, nicht jedoch deren gelebte operative Realität.
Das Founder’s Agreement – verbindliche Regeln für das operative Miteinander
Ein Founder’s Agreement ist im Kern ein Vertrag zwischen den Gründern, der das tägliche Miteinander, die Erwartungen an den Arbeitseinsatz und die strategische Ausrichtung verbindlich festhält. Anders als der Gesellschaftervertrag ist es kein gesetzlich vorgeschriebenes Dokument, sondern ein freiwilliges, aber in der Praxis äußerst wichtiges Instrument. Der entscheidende Vorteil: Es kann ohne notarielle Beurkundung abgeschlossen und jederzeit angepasst werden, sobald sich die Bedürfnisse des Unternehmens ändern.
Ein umfassendes Founder’s Agreement geht weit über bloße Absichtserklärungen hinaus. Es legt zum Beispiel genau fest, wie viel Zeit jeder Gründer in das Unternehmen einbringen muss – sei es Vollzeit, Teilzeit oder projektbasiert – und welche konkreten Verantwortlichkeiten bestehen. Es kann detaillierte Meilensteine vorsehen, etwa zur Produktentwicklung, Kundenakquise oder Umsetzung bestimmter Marketingstrategien, und diese mit vertraglichen Konsequenzen verknüpfen. Ein zentrales Element ist zudem die Übertragung sämtlicher entstehender geistiger Eigentumsrechte an die Gesellschaft, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Besonders in technologiegetriebenen Startups ist dies essenziell, um sicherzustellen, dass der Code, die Designs oder Markenrechte nicht im Eigentum einzelner Gründer verbleiben.
Darüber hinaus erlaubt ein gut gestaltetes Founder’s Agreement die Einführung von Vesting-Regeln, die sicherstellen, dass Anteile erst nach und nach endgültig erworben werden – und zwar nur, solange der Gründer aktiv mitarbeitet oder vereinbarte Ziele erreicht. Das schützt das Unternehmen vor der Situation, dass ein inaktiver Gründer langfristig mit hohen Anteilen beteiligt bleibt, obwohl er keinen Beitrag mehr leistet. Investoren betrachten das Fehlen solcher Regelungen oft als erhebliches Risiko. Nicht zuletzt kann ein Founder’s Agreement auch Regelungen zur Konfliktlösung enthalten, beispielsweise durch Mediationsverfahren oder verbindliche Schlichtungsklauseln, um langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.
Die Geschäftsordnung – institutionelle Abläufe und Entscheidungsprozesse
Eine Geschäftsordnung ergänzt die beiden vorgenannten Dokumente, indem sie die internen Abläufe und Entscheidungsprozesse auf institutioneller Ebene festlegt. Sie ist insbesondere für die Geschäftsführung relevant, kann aber auch die Zusammenarbeit der Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung strukturieren. In vielen Fällen wird eine Geschäftsordnung in der Gesellschafterversammlung beschlossen und ist daher einfacher anzupassen als der notarielle Gesellschaftsvertrag.
Die Geschäftsordnung kann genau definieren, welche Aufgabenbereiche einzelne Geschäftsführer übernehmen, welche Geschäfte ihrer vorherigen Zustimmung bedürfen und wie Berichtspflichten gegenüber den Gesellschaftern gestaltet sind. Sie regelt, wie oft Versammlungen stattfinden, welche Fristen für Einladungen gelten und wie Beschlüsse zu dokumentieren sind. Solche klaren Strukturen verhindern Missverständnisse, verkürzen Entscheidungswege und geben Sicherheit, insbesondere wenn das Unternehmen wächst oder neue Gesellschafter hinzukommen.
Der entscheidende Unterschied zum Founder’s Agreement liegt darin, dass sich die Geschäftsordnung nicht primär auf die persönlichen Leistungen der Gründer bezieht, sondern auf die Funktionsweise der Organe der Gesellschaft. Während im Founder’s Agreement geregelt wird, was die einzelnen Gründer als Personen leisten müssen, schafft die Geschäftsordnung einen institutionellen Rahmen, innerhalb dessen diese Leistungen in unternehmerisches Handeln umgesetzt werden.
Typische Fehler und ihre Folgen
Einer der gravierendsten Fehler ist die Annahme, dass der Gesellschaftervertrag alle relevanten Pflichten und Erwartungen automatisch enthält. Das führt dazu, dass operative Lücken nicht geschlossen werden. In der Praxis bedeutet das häufig, dass ein Gründer, der sich nicht mehr aktiv engagieren will, dennoch uneingeschränkt beteiligt bleibt. Dies kann nicht nur die Motivation der verbleibenden Gründer zerstören, sondern auch zu ernsthaften Problemen bei der Investorensuche führen.
Ein weiteres häufiges Versäumnis ist die fehlende Regelung zur Übertragung von geistigem Eigentum. Gerade im Tech-Bereich ist es unverzichtbar, dass sämtliche Arbeitsergebnisse – egal ob Quellcode, Datenbanken, Designs oder Marken – automatisch auf die Gesellschaft übergehen. Ohne klare Regelungen kann es passieren, dass ein einzelner Gründer nach dem Ausscheiden bestimmte Kernrechte behält, was das gesamte Geschäftsmodell gefährdet. Ebenso problematisch ist es, auf Vesting-Regeln zu verzichten oder diese nur oberflächlich zu regeln. Das kann dazu führen, dass jemand bereits zu Beginn Anteile erhält und diese dauerhaft behält, auch wenn er das Unternehmen nach kurzer Zeit verlässt.
Ein dritter Fehler liegt darin, dass die verschiedenen Dokumente nicht aufeinander abgestimmt werden. Wenn der Gesellschaftervertrag eine bestimmte Regelung vorsieht, das Founder’s Agreement aber etwas anderes, entstehen Auslegungskonflikte, die im Streitfall langwierige juristische Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Auch Investoren werden bei widersprüchlichen Regelungen skeptisch und fordern häufig kostenintensive Anpassungen, bevor sie Kapital bereitstellen.
Relevanz für Investoren
Investoren sehen in einer klaren und widerspruchsfreien Vertragsarchitektur ein Zeichen für Professionalität und langfristige Planbarkeit. Sie prüfen nicht nur, ob der Gesellschaftervertrag formal korrekt ist, sondern wollen auch wissen, ob operative Verpflichtungen klar geregelt sind, ob das geistige Eigentum gesichert ist und ob ein gerechtes Anreizsystem für die Gründer besteht. Das Vorhandensein eines detaillierten Founder’s Agreement und einer funktionierenden Geschäftsordnung kann den Unterschied machen, ob ein Investment zustande kommt oder nicht.
Fehlen solche Regelungen, entstehen aus Investorensicht sofort Fragen: Was passiert, wenn ein Gründer aussteigt? Wem gehören die Kernrechte? Wer entscheidet in kritischen Situationen? Wie werden Konflikte gelöst? Je klarer diese Punkte geregelt sind, desto geringer ist das wahrgenommene Risiko – und desto eher wird ein Investor bereit sein, in das Unternehmen zu investieren.
Fazit: Drei Ebenen für eine stabile Grundlage
Ein stabiles Startup basiert nicht nur auf einer guten Idee und einem starken Team, sondern auch auf einer soliden rechtlichen und organisatorischen Grundlage. Der Gesellschaftervertrag schafft den notwendigen rechtlichen Rahmen, das Founder’s Agreement sorgt für klare operative Verpflichtungen und gegenseitige Erwartungen, und die Geschäftsordnung stellt sicher, dass die Unternehmensorgane effizient arbeiten können.
Wer alle drei Ebenen frühzeitig sauber aufsetzt, vermeidet spätere Konflikte, spart Kosten und schafft Vertrauen bei Investoren, Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass Gründer ihre Energie auf Wachstum und Innovation konzentrieren können, statt in Krisenzeiten über grundlegende Fragen der Zusammenarbeit zu streiten.