Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in einem wegweisenden Urteil vom 30.03.2023 (Aktenzeichen: 16 U 22/22) entschieden, dass Betroffene keinen Unterlassungsanspruch haben, wenn ihre personenbezogenen Daten entgegen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) an Dritte übermittelt werden. Das Urteil stößt auf Kritik, da es die Durchsetzung des Datenschutzes erschwert. Eine Klärung durch den Bundesgerichtshof wäre wünschenswert.
Worüber das OLG Frankfurt am Main entschieden hat
Der Kläger hatte einen Online-Shop auf Unterlassung verklagt, weil dieser beim Aufruf der Website nach seinen Angaben personenbezogene Daten wie IP-Adresse und Nutzungsdaten an Drittanbieter wie Google weitergeleitet habe.
Das OLG Frankfurt am Main lehnte den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ab. Aus Art. 17 und Art. 82 DSGVO ergebe sich kein Anspruch auf Unterlassung. Art. 17 DSGVO gewähre nur einen Anspruch auf Löschung von Daten. Daraus lasse sich zwar auch ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Speicherung von Daten ableiten, nicht aber hinsichtlich der Übermittlung von Daten an Dritte. Nach Art. 82 DSGVO setze ein Unterlassungsanspruch einen konkreten Schaden voraus, der hier nicht dargelegt sei (OLG Frankfurt am Main, Urteil v. 30.3.2023, Az. 16 U 22/22, Rn. 63).
Auch nationale Unterlassungsansprüche nach § 1004 BGB i.V.m. § 823 BGB scheiden laut OLG Frankfurt am Main aus, da die DSGVO als vollharmonisiertes EU-Recht abschließende Regelungen enthalte. Es fehle an einer Öffnungsklausel für nationales Recht. Die in Art. 79 DSGVO erwähnten „Rechtsbehelfe“ bezögen sich nur auf verfahrensrechtliche, nicht auf materiell-rechtliche Ansprüche. Der individualrechtliche Rechtsschutz sei bewusst zugunsten eines „Public Enforcement“ durch die Datenschutzaufsichtsbehörden eingeschränkt (OLG Frankfurt am Main a.a.O., Rn. 76 ff.).
Reaktionen auf das Urteil des OLG Frankfurt am Main
Das Urteil ist auf ein geteiltes Echo gestoßen. Datenschützer kritisieren, dass die Rechte der Betroffenen stark eingeschränkt werden. Sie sehen die effektive Durchsetzung des Datenschutzes gefährdet.
Für Unternehmen und Website-Betreiber bedeutet das Urteil hingegen eine Stärkung ihrer Position. Es senkt das Haftungsrisiko bei Datenschutzverstößen, solange kein konkreter Schaden nachgewiesen wird.
In der juristischen Diskussion wird die Ansicht des OLG Frankfurt am Main nicht einhellig geteilt. Nach anderer Auffassung lässt sich vertreten, dass sich aus Art. 79 DSGVO doch auch materiell-rechtliche Ansprüche ergeben. Die Einschränkung des individuellen Rechtsschutzes stehe im Widerspruch zum Effektivitätsgrundsatz.
Ob der restriktive Ansatz des OLG Frankfurt am Main richtig ist, bleibt fraglich. Jedenfalls zeigt das Urteil, dass Betroffene bei Datenschutzverstößen nach der DSGVO vor allem die Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörde als Rechtsbehelf haben. Individualansprüche gegen den Verantwortlichen sind nur eingeschränkt möglich.
Ist das OLG Frankfurt am Main der falschen Ansicht?
Manche Datenschutzexperten sind der Ansicht, dass das OLG Frankfurt am Main die Rechtslage falsch beurteilt hat. Sie argumentieren:
- Art. 79 DSGVO sichert Betroffenen einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf zu. Daraus lässt sich auch ein Anspruch auf Unterlassung herleiten.
- Die DSGVO schließt ergänzende nationale Regelungen nicht abschließend aus. Daher können auch nationale Ansprüche wie § 823 BGB herangezogen werden. (Anmerkung: Das OLG Frankfurt am Main hat einen Anspruch aus § 1004 BGB abgelehnt)
- Die Einschränkung des Individualrechtsschutzes widerspricht dem Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts.
- Ohne Individualansprüche auf Unterlassung wird die DSGVO nicht effektiv durchgesetzt. Beschwerden bei Datenschutzbehörden reichen allein nicht aus.
BGH muss für Klarheit sorgen
Angesichts der rechtlichen Unsicherheiten nach dem Urteil des OLG Frankfurt am Main bleibt zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof bald Gelegenheit erhält, zur Problematik der Unterlassungsansprüche Stellung zu nehmen. Nur der BGH kann hier in letzter Instanz für eine einheitliche Linie sorgen.
Bis dahin bleibt die Rechtslage für Betroffene und Website-Betreiber unsicher. Unterlassungsklagen bei Datenschutzverstößen haben aufgrund der restriktiven Sicht des OLG Frankfurt am Main schlechtere Erfolgsaussichten. Umgekehrt haften Website-Betreiber bei Verstößen nicht automatisch auf Unterlassung. Hier kommt es wohl künftig noch stärker auf die Einzelfallprüfung an.
Fazit
Das wegweisende Urteil des OLG Frankfurt am Main schränkt die Durchsetzung des Datenschutzrechts über Individualansprüche deutlich ein. Ob dies mit dem Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts vereinbar ist, erscheint zweifelhaft. Eine höchstrichterliche Klärung durch den BGH wäre daher wünschenswert. Bis dahin herrscht für Betroffene wie Website-Betreiber große Rechtsunsicherheit bei Datenschutzverstößen.