Hintergrund des Rechtsstreits
Im Verfahren 33 O 178/23 vor dem Landgericht Köln ging es um die Forderung einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG gegen eine Tochtergesellschaft der Meta Platforms, Inc. auf Zahlung offener Vergütungen für Datentransportleistungen. Die Klägerin hatte seit 2010 vertragliche Beziehungen mit der Beklagten, die 2020 gekündigt wurden. Trotz der Kündigung nutzte Meta weiterhin die von der Telekom bereitgestellten Private Interconnects, ohne die fälligen Zahlungen zu leisten. Die Telekom stellte Meta insgesamt über 20 Private Interconnects zur Verfügung, über die Meta nahezu den gesamten Datenverkehr ihrer sozialen Mediendienste in das Netz der Telekom einspeiste. Die Telekom leitete diesen Datenverkehr dann an die Nutzer der sozialen Mediendienstes in ihren Anschlussnetzen weiter. Der Streit zwischen den Parteien entzündete sich an der Frage, ob für diese Leistungen der Telekom weiterhin eine Vergütung zu zahlen ist oder ob Meta die Interconnects nach der Kündigung unentgeltlich nutzen kann.
Vertragsverhältnis und Nutzung der Interconnects
Nach der Kündigung durch Meta und dem Stillstand der Verhandlungen über eine Preisreduzierung, erklärte die Telekom, dass sie ihre Leistungen weiterhin nur gegen Entgelt erbringen werde. Meta hingegen wollte die Interconnects unentgeltlich unter der Industrienorm des „settlement-free peering” nutzen. Dabei handelt es sich um eine Vereinbarung zwischen Internetdienstanbietern, bei der Datenverkehr ohne gegenseitige Bezahlung ausgetauscht wird, solange ein ungefähres Gleichgewicht besteht. Die Telekom vertrat jedoch die Auffassung, dass die bisherige entgeltliche Nutzung der Interconnects durch Meta auch nach der Kündigung fortgesetzt wurde und somit ein entgeltlicher Dienstvertrag zustande gekommen sei. Meta sendete trotz der Kündigung weiter uneingeschränkt Daten über die Private Interconnects der Telekom und routete ihren Datenverkehr darüber in das Netz der Telekom. Die von der Telekom auf Basis der zuletzt getroffenen vertraglichen Vereinbarungen erstellten monatlichen Rechnungen für diese Nutzung beglich Meta jedoch nicht.
Gerichtliche Entscheidung
Das Landgericht Köln entschied zugunsten der Telekom und stellte fest, dass ein entgeltlicher Dienstvertrag zwischen den Parteien bestand. Das Gericht argumentierte, dass die Nutzung der Interconnects durch Meta nach der Kündigung als Annahme des Angebots der Telekom zu verstehen sei, die Leistungen zu den bisherigen wirtschaftlichen Bedingungen fortzuführen. Die Richter betonten, dass die technische Bezeichnung der Zusammenschaltung (Peering oder Transit) unerheblich sei, da die Parteien übereinstimmend das Gleiche gemeint hätten. Entscheidend sei, dass Meta die Daten in derselben Weise wie vor der Kündigung über das Netz der Telekom an ihre Endkunden weiterleiten ließ. Selbst bei unentgeltlicher Nutzung liege dem ein schuldrechtlicher Vertrag zugrunde, dem neben der Nutzungsüberlassung auch wesentliche Informations- und Nebenpflichten entwachsen. Das Gericht sah in der fortgesetzten Nutzung der Interconnects durch Meta einen entsprechenden Erklärungswert, bis zur einvernehmlichen Klärung der Entgeltfrage die Bedingungen der Telekom zu akzeptieren.
Fazit: Bedeutung für die Vertragsauslegung
Das Urteil des Landgerichts Köln hat weitreichende Implikationen für die Vertragsauslegung im Bereich der Datentransportleistungen. Es zeigt, dass die fortgesetzte Nutzung von Dienstleistungen nach einer Kündigung als stillschweigende Annahme eines neuen Vertragsangebots gewertet werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nutzung unter den gleichen Bedingungen wie zuvor erfolgt. Das Gericht stellte klar, dass selbst bei unentgeltlicher Nutzung ein schuldrechtlicher Vertrag vorliegen kann, der wesentliche Informations- und Nebenpflichten umfasst. Für die Vertragsauslegung ist entscheidend, was die Parteien übereinstimmend gewollt und durch ihr tatsächliches Verhalten zum Ausdruck gebracht haben. Technische Bezeichnungen wie “Peering” oder “Transit” treten dahinter zurück, wenn die Parteien in der Sache dasselbe meinen. Das Urteil stärkt damit die Position der Netzbetreiber gegenüber den großen Internetkonzernen und schafft mehr Klarheit über die vertraglichen Pflichten bei der Nutzung von Netzinfrastruktur.
Schlussfolgerung
Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung einer klaren und eindeutigen Kommunikation zwischen Vertragspartnern, insbesondere bei der Kündigung und Fortsetzung von Dienstleistungen. Unternehmen sollten sicherstellen, dass sie ihre vertraglichen Verpflichtungen und die Bedingungen der Nutzung von Dienstleistungen genau kennen und einhalten, um rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Eine einseitige Kündigung und gleichzeitige Weiternutzung von Leistungen birgt erhebliche rechtliche Risiken, wie der vorliegende Fall zeigt. Auch bei langjährigen Geschäftsbeziehungen sollten Verträge regelmäßig überprüft und an geänderte Umstände angepasst werden. Nur so lässt sich Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen. Das Urteil könnte auch Signalwirkung für die gesamte Branche haben, indem es die Frage der fairen Kostenverteilung für die Nutzung von Netzwerkinfrastrukturen neu beleuchtet. Es bleibt abzuwarten, ob sich daraus ein Umdenken bei den großen Internetkonzernen ergibt oder ob es zu weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt.