Regel Nr. 1: Zweifel sollten immer zu Lasten des Verwenders gehen
Die erste der fünf Auslegungsregeln, die jeder kennen sollte, ist die Regel, dass Zweifel immer zu Lasten des Verwenders gehen. Dies bedeutet, dass ein Richter eine Vereinbarung in dem Sinne auslegen wird, der der Partei am wenigsten zugutekommt, die den Vertrag geschrieben hat. Die Begründung hierfür ist, dass der Verfasser des Vertrages in der Regel besser in der Lage sein sollte, sicherzustellen, dass seine Absichten klar und verständlich ausgedrückt sind. Zudem wird meist vermutet, dass ein Ersteller eines Vertrages diesen immer so formulieren wird, dass er genau den Ersteller begünstigt. Diese Regel bedeutet jedoch nicht, dass derjenige, der den Vertrag geschlossen hat, automatisch benachteiligt wird. Stattdessen muss jede Klausel von Fall zu Fall beurteilt werden. Wenn beispielsweise ein Richter feststellt, dass eine bestimmte Klausel unklar oder unverständlich ist oder mehrdeutige Bedeutungen hat, kann er die Klausel trotzdem im Sinne des Verwenders interpretieren – vorausgesetzt, es gibt keinen deutlichen Hinweis darauf, dass dies nicht die Absicht des Verwenders war, die Klausel unbestimmt zu formulieren.
Für Parteien bei der Gestaltung eines Vertrages ist es daher wichtig sicherzustellen, dass alle möglichen Zweifel bereits im Voraus beseitigt wurden. Dies bedeutet nicht nur die Vermeidung von Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten in den Formulierungen des Vertrages – es bedeutet auch die Aufnahme aller relevanten Informationen in den Vertrag und die Verwendung von Definitionen und Erklärungen bei Begriffen mit mehreren Bedeutungsmöglichkeiten.
Qualifiziert sich ein Vertrag übrigens als AGB nach deutschem Recht, was öfters der Fall ist, als viele glauben, gehen Zweifel und Unklarheiten übrigens IMMER zu Lasten desjenigen, der den Vertrag gestellt hat.
Regel Nr. 2: Ausnahmen von der allgemeinen Regel
Die zweite Auslegungsregel lautet: „Ausnahmen von der allgemeinen Regel müssen klar und deutlich ausgeschlossen werden.“ Dies bedeutet, dass jede Klausel, die eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellt, explizit formuliert werden muss. Sonst gilt die allgemeine Regel – auch für diese Ausnahme! Ein Beispiel: “Sofern keine anderen Vereinbarungen getroffen wurden, gelten unsere Lieferzeiten als verbindlich.” Daraus folgt also, dass sich Lieferfristen nicht verlängern können – es sei denn, es ist in der entsprechenden Klausel ausdrücklich so festgelegt. Sollte dies nicht der Fall sein, kann der Vertragspartner keinen Anspruch auf Verlängerung der Lieferfrist geltend machen.
Regel Nr. 3: Die 4 Hauptfälle, in denen die Vertragspartner nicht einig sind
Es gibt vier Hauptfälle, in denen sich die Parteien eines Vertrages nicht darüber einig werden können, wie der Vertrag ausgelegt werden soll. Diese vier Fälle betreffen die Auslegung des Wortlauts des Vertrags, seines Sinns und Zwecks und auch die Ergänzung von Punkten, die nicht im Vertrag enthalten sind.
a) Unklarer Wortlaut: In diesem Fall kann der Wortlaut des Vertrags zu verschiedenen Interpretationen führen. Es ist wichtig, dass bei der Auslegung eines solchen unklar formulierten Vertrags geprüft wird, ob der Wortlaut der ursprüngliche Wille der Parteien war oder ob er geändert wurde.
b) Unklarer Sinn und Zweck: In diesem Fall bestimmen Richter normalerweise den Zweck des Vertrages anhand aller Umstände, unter denen er geschlossen wurde. Auch hier muss jedoch berücksichtigt werden, ob der Sinn und Zweck des Vertrages dem ursprünglichen Willen der Parteien entspricht oder ob sich dieser geändert hat.
c) Ergänzung von Punkten: In der Regel werden Gericht fehlende punkte nicht ergänzen, außer es gibt nach Regel Nr. 4 kein eindeutiges Ergebnis. Der Grund wäre, dass ein Richter ansonsten durchaus auch einen sogenannten Dissens erkennen könnte und Ansprüche (oder die Wirksamkeit des Vertrages) ganz ablehnen könnte.
d) Übereinstimmende Auslegung: In sehr seltenen Fällen können die Parteien einen Streitpunkt gemeinsam auslegen. In solchen Fällen können sie eine Vereinbarung treffen, in der sie ihre Übereinstimmung über die Auslegung festhalten und verpflichten sich gegenseitig, an dieser festzuhalten. Die Gerichte akzeptieren solche Vereinbarung normalerweise als bindend und wenden sie anstelle ihrer eigenen Entscheidung an. Wenn Sie also vertragliche Streitigkeiten vermeiden möchten oder bevor Sie einen solchen Abschluss tätigen, sollten Sie vorab auf jeden Fall gründlich prüfen und präzise formulieren welche Bedingung in Ihrem Vertrag vereinbart wird. Nur so lassen sich später Missverständnisse vermeiden.
Regel Nr. 4: Wenn es keine ausdrückliche Vereinbarung gibt, gelten die gesetzlichen Bestimmungen
Es kommt auch vor, dass Parteien einen Vertrag abschließen, aber keine spezifischen Bestimmungen über die Auslegung des Vertrags vereinbaren. In solchen Fällen wenden Gerichte die gesetzlichen Bestimmungen an. Diese Regel ist besonders wichtig, wenn sich Parteien nicht einig sind über das genaue Verständnis der Klauseln des Vertrags. In den meisten Fällen bedeutet dies, dass Gerichte den Wortlaut des Vertrags interpretieren und versuchen, die Absicht der Parteien zu ermitteln. Entscheidend ist jedoch, dass die Gerichte die gesetzlichen Normen bei der Interpretation berücksichtigen. Im Zweifel wird ein Gericht die gesetzliche Intention berücksichtigen und versucht dies in Einklang mit der möglichen Intention der Parteien herauszuarbeiten.
Regel Nr. 5: Auslegung nach der Üblichkeit in der Branche
Der letzte Punkt der Auslegungsregeln ist die Berücksichtigung der Gepflogenheiten in der jeweiligen Branche. Diese Regel wird besonders dann zur Anwendung kommen, wenn ein Vertrag nicht klar ausformuliert ist oder unklar ist, was die Parteien gemeint haben. In solchen Fällen werden Gerichte sich an die allgemein anerkannten Verhaltensweisen und typischen Regeln in der Branche halten, um die richtige Interpretation des Vertrages zu gewährleisten. Dies kann nützlich sein, wenn es beispielsweise um allgemeine Industriestandards geht. Wenn ein Vertrag also etwas enthält, das mit den üblichen Vorgehensweisen und Praktiken in der Branche vereinbar ist, kann dies als hilfreiche Richtschnur für die Auslegung verwendet werden. Ein Gericht wird in solchen Fällen oft eine Entscheidung treffen, die dem üblichen Verhalten entspricht.
In solchen Situationen muss man jedoch vorsichtig sein: Es ist wichtig zu beachten, dass keine Branche dieselben Standards oder Verhaltensweisen hat. Selbst innerhalb einer Branche sind Standards möglicherweise verschieden. Daher muss man immer sichergehen, dass man den speziellen Kontext des Vertrags berücksichtigt und die branchenspezifischen Begriffe und Terminologien versteht, bevor man auf deren Grundlage eine Entscheidung trifft. Die Beachtung dieser fünften Regel ist oft entscheidend für eine erfolgreiche Auslegung von Verträgen und kann helfen, Streitigkeiten oder Unklarheiten zu vermeiden. Indem man sich mit den üblichen Verhaltensweisen in seiner jeweiligen Branche vertraut macht und diese Regel bei der Interpretation von Verträgen berücksichtigt, können Sie sicherstellen, dass Sie stets auf dem richtigen Weg sind.