Ohweia: Bundesarbeitsgericht:
Stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für freie Mitarbeit vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet.
Viele meiner Mandaten sind als Freelancer für diverse Unternehmern tätig oder arbeiten als Spieleentwickler, Agentur oder Startup selber mit Freelancern. Dabei warnt man als Rechtsanwalt oft vor den Problemen der “Scheinselbstständigkeit”, die gerade den Auftraggeber sehr teuer zu stehe kommen können. Denn wird ein Beschäftigungsverhältnis von den Vertragsparteien als sozialversicherungsfrei behandelt, stellt sich dann jedoch heraus, dass keine selbständige Tätigkeit des Mitarbeiters vorlag, wird der „Auftraggeber“ für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag auch für die Vergangenheit in Anspruch genommen. Das ist insoweit nichts Besonderes und ich kann gerade kleinere Computerspieleentwickler etc. immer nur dazu anhalten, die Prozesse und Verträge kritisch zu hinterfragen.
Im Rahmen der Bearbeitung eines Mandats in diesem Bereich bin ich bin ich jedoch auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts gestoßen, das gerade bekannt wurde und auf das ich unbedingt aufmerksam machen will. Denn es betrifft eine große Gefahr des Freelancers, auch umfangreichen Ansprüchen des Auftraggebers ausgesetzt zu sein, die man dann vielleicht nur schwer ausgleichen kann.
Der Grund dafür liegt darin begründet, wie die Zahlungsflüsse und Verpflichtungen bei einem regulären Arbeitsverhältnis sind. Da ein Arbeitgeber seinen Anspruch auf den vom Arbeitnehmer zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend machen kann, regelt in Fällen der Beitragsnachforderung durch die Sozialversicherungsträger § 28g SGB IV die Frage, wie und in welchem Umfang wiederum der vermeintliche Auftraggeber (in Wirklichkeit also der Arbeitgeber) rückwirkend noch seinen Anspruch auf den Arbeitnehmeranteil geltend machen kann. Eigentlich ist dieser Anspruch auf die nächsten drei Gehaltszahlungen beschränkt. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist.
Bei eben dieser Ausnahme beginnt die problematische Stelle des “Freelancers”.
Da bei beendeten Aufträgen nämlich oft der Auftraggeber der “Gekniffene” ist (es gibt ja keine Gehälter mehr, mit denen man verrechnen könnte), hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung 5 AZR 178/18 einen Rückforderungsanspruch überzahlter Honorare auf bereicherungsrechtlicher Grundlage bejaht. Das kann schnell sehr viel Geld sein. Im vorliegenden Fall betraft dies über 100.000 Euro an zuviel bezahlten “Honoraren”. Dies berechnete der “Arbeitgeber” hier aus den von der Sozialversicherung geforderten Beträgen, sowie aus dem Umstand, dass der Freelancer Zeitraum nun nur noch die übliche Vergütung eines entsprechend seiner Tätigkeit beschäftigten Arbeitnehmers beanspruchen könne. Über dieses “Gehalt” hinaus geleistete Honorare müssten nun vom Freelancer erstattet werden, nachdem die Sozialversicherungspflicht festgestellt worden sei.
Nachdem sowohl das Arbeitsgerichts als auch das Landesarbeitsgericht die Klage zurückwiesen hatten, gab das Bundesarbeitsgericht der Klägerin allerdings Recht.
Der vom Auftraggeber zum Arbeitgeber angepasste Auftraggeber könne vom dem Freelancer die zu viel gezahlten Vergütungen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückfordern, wenn der Arbeitnehmerstatus rückwirkend festgestellt wurde und die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger als das für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Honorar ist. Auch eine gerade für die freie Mitarbeit – sogar individuell! – getroffene Vergütungsvereinbarung (hier mit einem Stundensatz von 60 Euro…) könne nicht zugleich für eine Beschäftigung im Arbeitsverhältnis als maßgeblich angesehen werden. Der Grund dafür ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes, dass die Risikoverteilung eines Arbeitnehmers und eines Freelancers grundlegend verschieden sind.
Ein Bereicherungsanspruch sei auch nicht wegen der Kenntnis der “Nichtschuld” des Arbeitgebers ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall konnte nämlich nicht nachgewiesen werden, dass der Auftraggeber seine Nichtschuld kannte und trotzdem zahlte (was sodann eine Rückforderung ausschließen würde). Reine Zweifel an der Nichtschuld würden für die Anwendung des § 814 BGB nicht ausreichen.
Der Anspruch sei laut dem Bundesarbeitsgerichtes zudem nicht verjährt, denn die regelmäßige Verjährung von drei Jahren (die auch für Bereicherungsansprüche gilt), habe noch nicht begonnen gehabt, da dem Arbeitgeber die Erhebung einer die Verjährung hemmende Klage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB unzumutbar war. Erst ab dem Zeitpunkt einer gerichtlichen Feststellung des Rechtsverhältnisses hätte die Geltendmachung wirklich erfolgen können.
Hat man also Zweifel am Status eines “Mitarbeiters”, kann es daher anzuraten sein, rechtzeitig ein Statusfeststellungsverfahren einzuleiten. Die Risiken sind ansonsten groß, wie man sieht auch für den Freelancer. Neben den arbeitsrechtlichen Fragen stellen sich zudem für beide Seite auch zahlreiche weitere Fragen. So könnten auf einen “Arbeitnehmer” auch Rückforderungen des Finanzamts zukommen, weil aufgrund des Umstandes, dass er nun nicht mehr “Unternehmer” ist, Vorsteuer eventuell fälschlicherweise abgesetzt wurde. Auch der vermeintlich „Auftraggeber“ kann die vom Mitarbeiter berechnete und diesem bezahlte Umsatzsteuer natürlich nicht als Vorsteuer behandeln.