Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem aktuellen Urteil (OLG Stuttgart, Urteil v. 01.08.2024 – 4 U 101/24) einen Coaching-Vertrag wegen Verstoßes gegen das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) für nichtig erklärt. Der Anbieter verfügte nicht über die nach § 12 Abs. 1 FernUSG erforderliche Zulassung. Daher konnte der Kunde die bereits gezahlte Vergütung von 23.800 € zurückfordern.
Das Urteil reiht sich ein in eine Reihe von Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte zu dieser Thematik in jüngster Zeit:
1. OLG Celle, Urteil v. 01.03.2023 – 3 U 85/22 (pro Anwendbarkeit FernUSG)
2. OLG Hamburg, Urteil v. 20.02.2024 – 10 U 44/23 (kontra Anwendbarkeit FernUSG)
3. OLG Köln, Urteil v. 06.12.2023 – 2 U 24/23 (kontra Anwendbarkeit FernUSG)
4. OLG München, Urteil v. 18.01.2023 – 29 U 6497/22 (kontra Anwendbarkeit FernUSG)
5. LG Hamburg, Urteil v. 19.07.2023 – 304 O 277/22 (pro Anwendbarkeit FernUSG)
6. LG München I, Urteil v. 18.07.2023 – 37 O 15493/22 (kontra Anwendbarkeit FernUSG)
7. LG Ravensburg, Urteil v. 11.07.2023 – 5 O 25/23 (kontra Anwendbarkeit FernUSG)
8. LG Frankfurt a.M., Urteil v. 03.05.2023 – 2-06 O 256/22 (kontra Anwendbarkeit FernUSG)
9. LG Stuttgart, Urteil v. 19.12.2023 – 3 O 108/23 (pro Anwendbarkeit FernUSG)
10. LG Heilbronn, Urteil v. 19.12.2023 – 3 O 108/23 (kontra Anwendbarkeit FernUSG)
Dabei zeichnet sich noch keine einheitliche Linie ab, was die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des FernUSG angeht. Vielmehr kommen die Gerichte teilweise zu gegensätzlichen Ergebnissen. Eine höchstrichterliche Klärung durch den BGH ist daher dringend geboten, um Rechtssicherheit für Anbieter und Teilnehmer zu schaffen.
Räumliche Trennung auch bei Online-Unterricht
Das OLG Stuttgart stellte klar, dass auch bei einem Online-Unterricht eine räumliche Trennung im Sinne des § 1 Abs. 1 FernUSG vorliegt, selbst wenn eine synchrone Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden möglich ist. Entscheidend sei, dass nicht in Präsenz unterrichtet werde. Der Gesetzgeber habe alle Unterrichtsformen, die nicht in Präsenz stattfinden, dem FernUSG unterstellen wollen. Eine einschränkende Auslegung bei Videokonferenzen sei nicht angezeigt.
Vielmehr bestehe gerade hier ein besonderes Schutzbedürfnis der Teilnehmer vor unseriösen Anbietern. Dem Argument, dass bei Videokonferenzen eine vergleichbare Interaktion wie bei Präsenzveranstaltungen möglich sei, erteilte das Gericht damit eine Absage. Es folgte insoweit der Linie des OLG Celle (Urteil v. 01.03.2023 – 3 U 85/22). Dagegen hatten das OLG Hamburg (Urteil v. 20.02.2024 – 10 U 44/23) und das OLG Köln (Urteil v. 06.12.2023 – 2 U 24/23) eine restriktivere Auslegung vertreten.
Lernerfolgskontrolle mit niedrigen Anforderungen
Auch eine Überwachung des Lernerfolgs im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG sah das OLG Stuttgart als gegeben an. Hierfür reiche es aus, wenn die Teilnehmer in den Meetings Fragen stellen können, um ihr Verständnis zu überprüfen. Eine weitergehende Lernkontrolle sei nicht erforderlich.
Damit schloss sich das Gericht der weiten Auslegung des Merkmals durch den BGH (Urteil v. 15.10.2009 – III ZR 310/08) an. Auch insoweit besteht aber keine Einigkeit unter den Oberlandesgerichten. So verlangen etwa das OLG Hamburg (Urteil v. 20.02.2024 – 10 U 44/23) und das OLG Köln (Urteil v. 06.12.2023 – 2 U 24/23) über die bloße Fragemöglichkeit hinaus eine inhaltliche Überprüfung des Lernstoffs durch den Lehrenden. Das OLG Celle (Urteil v. 01.03.2023 – 3 U 85/22) ließ die Frage ausdrücklich offen. Angesichts des weiten Verständnisses des BGH dürfte der Ansatz des OLG Stuttgart aber vorzugswürdig sein.
Rechtsunsicherheit für die Coaching-Branche
Das Urteil ist ein Paukenschlag für die boomende Coaching-Branche. Viele Anbieter dürften über keine Zulassung nach dem FernUSG verfügen. Ihre Verträge könnten daher nichtig sein. Die Kunden hätten dann gute Chancen, bereits gezahlte Honorare zurückzufordern.
Das gilt gerade auch für teure Coaching-Programme, die sich häufig an Unternehmer und Selbstständige richten. Hier geht es schnell um fünfstellige Beträge. Die Anbieter können sich auch nicht darauf verlassen, dass ihre Verträge einer AGB-Kontrolle standhalten. Denn nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil v. 15.10.2009 – III ZR 310/08) ist der Anwendungsbereich des FernUSG eröffnet, wenn die Voraussetzungen nach dem Gesamtbild der Vertragsgestaltung erfüllt sind. Einzelne abweichende AGB-Klauseln können daran nichts ändern.
Allerdings ist die Rechtslage alles andere als eindeutig. Andere Oberlandesgerichte wie Hamburg und München sehen die Anwendbarkeit des FernUSG auf Coaching-Verträge deutlich skeptischer. Sie legen die Voraussetzungen enger aus.
So verneinte etwa das OLG München (Urteil v. 18.01.2023 – 29 U 6497/22) das Merkmal der überwiegenden räumlichen Distanz bei einem Online-Coaching-Programm. Auch das Erfordernis der Lernerfolgskontrolle sah es als nicht erfüllt an. Die bloße Möglichkeit, Fragen zu stellen, genüge hierfür nicht. Vielmehr müsse eine inhaltliche Überprüfung des Lernstoffs durch den Lehrenden stattfinden.
Vor diesem Hintergrund kommen die Gerichte selbst bei vergleichbaren Sachverhalten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das zeigt die große Rechtsunsicherheit, die hier besteht.
Höchstrichterliche Klärung dringend nötig
Um Rechtssicherheit zu schaffen, muss der Bundesgerichtshof die zentralen Streitfragen zum FernUSG baldmöglichst höchstrichterlich klären. Dabei geht es vor allem um folgende Punkte:
– Wann liegt eine räumliche Trennung vor? Reichen Online-Formate aus oder ist eine physische Distanz nötig? Welche Bedeutung haben dabei synchrone Kommunikationsmöglichkeiten wie Videokonferenzen?
– Welche Anforderungen gelten für die Lernerfolgskontrolle? Genügt eine reine Fragemöglichkeit oder muss eine inhaltliche Überprüfung des Lernstoffs durch den Lehrenden stattfinden? Wie ist dies bei Coaching-Programmen zu beurteilen, bei denen es weniger um reine Wissensvermittlung als um Anleitung und Begleitung geht?
– Ist das FernUSG auch auf Verträge mit Unternehmern anwendbar oder nur bei Verbrauchern? Hier gibt es bislang ebenfalls keine einheitliche Linie der Instanzgerichte. Während manche eine Anwendung nur bei Verbrauchern befürworten, halten andere das FernUSG auch bei unternehmerischen Teilnehmern für einschlägig.
Angesichts der großen praktischen Bedeutung und der uneinheitlichen Rechtsprechung besteht hier dringender Klärungsbedarf. Der Gesetzgeber ist ebenfalls gefordert, das FernUSG an das digitale Zeitalter anzupassen.
Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1976 und ist seitdem im Wesentlichen unverändert geblieben. Es trägt den heutigen technischen Möglichkeiten und Unterrichtsformen nur unzureichend Rechnung. Eine Reform ist daher überfällig. Nur so lässt sich ein angemessener Ausgleich zwischen Teilnehmerschutz und unternehmerischer Freiheit finden.
Hoffentlich ergreift der BGH bald die Gelegenheit, für mehr Klarheit zu sorgen. Die Coaching-Branche wird es ihm danken. Bis dahin bleibt Anbietern und Teilnehmern nur, die weitere Entwicklung der Rechtsprechung aufmerksam zu verfolgen.
Betrachtet man die aufgeführten Urteile, so hält sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung derzeit die Ansicht, dass das FernUSG auf Coaching-Verträge anwendbar ist, mit der Gegenansicht in etwa die Waage. Von den 10 zitierten Entscheidungen sprechen sich 5 für und 5 gegen eine Anwendbarkeit aus. Es bleibt abzuwarten, wie sich der BGH in dieser Frage positionieren wird. Bis dahin herrscht für die Branche leider weiterhin erhebliche Rechtsunsicherheit.