In einem etwas längeren Blogartikel habe ich gerade erst Informationen zum neuen Sachmangelbegriff für digitale Inhalte berichtet, der wohl ab 1. Januar 2022 in Deutschland gelten wird. Da ich viele Computerspieleentwickler betreue, möchte ich kurz ergänzen, welche Probleme dies für diese Branche mitbringen könnte. Das Sachmängelrecht bei Massensoftware ist sehr umstritten. Während bei Individualsoftware – hoffentlich – mit Dingen wie Lasten- und Pflichtenheft gearbeitet wird, welche sodann Anhaltspunkte für geschuldete Inhalte und Mängel bieten, ist dies bei Massensoftware wie Computerspiele nicht so einfach. Wann ist ein Computerspiel mangelhaft? Wenn es ruckelt? Wenn es abstürzt? Wenn einige Quests nicht abgeschlossen werden können?
Umstritten, wenn wohl wenig relevant ist z. B. die Frage, ob ein Kopierschutz einen Sachmangel darstellt. Dies ist im Ergebnis aber wohl zu verneinen, jedenfalls wenn das Spiel ordnungsgemäß gestartet werden kann. Anders könnte dies schon bei einem Zwang zu einer Internetregistrierung aussehen, wenn auf diesen Umstand nicht vor dem Kauf hingewiesen wird. . Alles Weitere ist oft umstritten, jedenfalls im B2C Bereich, denn oftmals wird ein Käufer eines Spieles bislang gescheut haben, wegen 30-40 Euro Ansprüche geltend zu machen oder Händler haben schlicht Kulanz gezeigt, wenn einzelne Ansprüche gestellt wurden. Jedenfalls sind mir keine größeren Gerichtsverfahren dazu bekannt.
Dies könnte sich nun mit den in meinem anderen Artikel erwähnten Neuigkeiten ändern. Denn die Richtlinie und somit die Änderungen im BGB sollen genau ein Problem angehen. Dass nämlich der auf körperliche Sachen zugeschnittene Rechtsmangelbegriff des § 435 BGB sich schon beim Rechtskauf als unzureichend erweist, bei digitalen Inhalten, wo es auf die Reichweite der verschafften Lizenz und die Bestandsfestigkeit schuldrechtlicher Positionen ankommt, taugen die veralteten Paragrafen eigentlich kaum noch.
Dies soll sich, allerdings nach aktuellen Stand nur bei Verbraucherverträgen ändern. Mit den digitalen Elementen kommt ab nächstes Jahr eine neue Sachkategorie dazu. Für isoliert verkaufte Computerspiele, bei denen also keine qualifizierte Verbindung zwischen einer Sache und dem digitalen Element vorliegt, soll sich dann die Mangelfreiheit nach des digitalen Elements nach den neuen §§ 327d BGB richten. Dessen Änderungen ergeben sich allerdings nichts aus der Umsetzung der Warenkaufrichtlinie, sondern aus der Umsetzung der Digitalen-Inhalte-Richtlinie (EU) 2019/770. Ich werde diese Richtlinie demnächst genauer beleuchten. Für Computerspiele relevant ist dabei aber wohl vor allem der neue § 327e BGB, der dann den Produktmangel von digitalen Elementen definiert:
(1) Das digitale Produkt ist frei von Produktmängeln, wenn es zur maßgeblichen Zeit nach den Vorschriften dieses Untertitels den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Anforderungen an die Integration entspricht. […]
(2) Das digitale Produkt entspricht den subjektiven Anforderungen, wenn
1. das digitale Produkt
a) die vereinbarte Beschaffenheit hat, einschließlich der Anforderungen an seine Funktionalität, seine Kompatibilität und seine Interoperabilität, sonst,
b) sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet,
2. es wie vereinbart mit Zubehör, Anleitungen und Kundendienst bereitgestellt wird
und
3. es wie vereinbart aktualisiert wird.Funktionalität ist die Fähigkeit eines digitalen Produkts, seine Funktionen seinem Zweck entsprechend zu erfüllen. Kompatibilität ist die Fähigkeit eines digitalen Produkts, mit Hardware oder Software zu funktionieren, mit der digitale Produkte derselben Art in der Regel genutzt werden, ohne dass sie konvertiert werden müssen. Interoperabilität ist die Fähigkeit eines digitalen Produkts, mit anderer Hardware oder Software als derjenigen, mit der digitale Produkte derselben Art in der Regel genutzt werden, zu funktionieren.
Dies bietet zwar Anhaltspunkte, also z. B. dass Computerspiele in Zukunft wohl wieder bessere Bedienungsanleitungen bekommen müssen und dass diese für z. B. sämtliche PC-Systeme, für die sie gedacht sind, kompatibel sein müssen. Gerade letztes kann problematisch aber auch ein Streitpunkt sein. Dass hier AGB, Verpackungsinhalte und einiges mehr angepasst werden müssen, ist im Rahmen großer Wahrscheinlichkeit.
Der Gesetzgeber wird aber wohl auch objektive Merkmale definieren:
(3) Das digitale Produkt entspricht den objektiven Anforderungen, wenn
1. es sich für die gewöhnliche Verwendung eignet,
2. es eine Beschaffenheit, einschließlich der Funktionalität, der Kompatibilität, der Zugänglichkeit, der Kontinuität und der Sicherheit aufweist, die bei digitalen Produkten derselben Art üblich ist und die der Verbraucher unter Berücksichtigung der Art des digitalen Produkts erwarten kann,
3. es der Beschaffenheit einer Testversion oder Voranzeige entspricht, die der Unternehmer dem Verbraucher vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat,
4. es mit dem Zubehör und den Anleitungen bereitgestellt wird, deren Erhalt der Verbraucher erwarten kann,
5. der Verbraucher gemäß § 327f über Aktualisierungen informiert wird und diese bereitgestellt werden, und
6. sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, es in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses neuesten verfügbaren Version bereitgestellt wird.
Auch hier könnte es somit Sprengstoff geben. Computerspiele müssen also regelmäßig aktualisiert werden, müssen beim Kauf die aktuellste Version aufweisen, brauchen Zubehör und Anleitungen und müssen sich am Qualitätsstandard anderen üblichen Produkten angleichen. Dies könnte eine recht große Hürde darstellen, denn fehlenden diese Punkte, wäre ein Spiel mangelhaft und der Verbraucher könnte die üblichen Verbraucherrechte wie Rückabwicklung oder Minderung des Kaufpreises geltend machen. Setzt sich gerade letzteres durch, wären dies eventuell Punkte, die dringend in Publishingverträgen berücksichtigt werden müssten.
Und letzten Endes wird auch die übliche Beschaffenheit neu für digitale Inhalte geregelt:
Zu der üblichen Beschaffenheit nach Satz 1 Nummer 2 gehören auch Anforderungen, die der Verbraucher nach den öffentlichen Äußerungen des Unternehmers oder im Auftrag des Unternehmers oder nach den öffentlichen Äußerungen einer anderen Person in vorhergehenden Gliedern der Vertriebskette erwarten kann. Das gilt nicht, wenn der Unternehmer die Äußerung nicht kannte und auch nicht kennen konnte, wenn die Äußerung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in derselben oder einer gleichwertigen Weise berichtigt war oder wenn die Äußerung die Entscheidung, das digitale Produkt zu erwerben, nicht beeinflussen konnte.
Gerade Äußerungen der Marketing- oder PR-Abteilung von Publishern sind aufgrund dieser Regelung ab nächstem Jahr besonders kritisch zu beachten. Hier könnten auch auf PR-Agenturen große Haftungsgesichtspunkte zukommen.
Als Letztes wird der neue § 327f BGB die Integration von Software regeln:
(4) Das digitale Produkt entspricht den Anforderungen an die Integration, wenn die Integration
1. sachgemäß durchgeführt worden ist oder
2. zwar unsachgemäß durchgeführt worden ist, dies jedoch weder auf einer unsachgemäßen Integration durch den Unternehmer noch auf einem Mangel in der vom Unternehmer bereitgestellten Anleitung beruht.Integration ist die Verbindung und die Einbindung eines digitalen Produkts mit den oder in die Komponenten der digitalen Umgebung des Verbrauchers, damit das digitale Produkt gemäß den Anforderungen nach den Vorschriften dieses Untertitels genutzt werden kann. Digitale Umgebung sind Hardware, Software oder Netzverbindungen aller Art, die vom Verbraucher für den Zugang zu einem digitalen Produkt oder die Nutzung eines digitalen Produkts verwendet werden.
Diese Regelungen könnten vor allem für Konsolen oder ähnliches relevant werden, ebenso aber für andere Peripheriegeräte.
Und wie immer gilt, dass die Verbraucherrechte die Händler belasten, nicht direkt den Hersteller der Computerspiele.
Vieles kann sich noch ändern und so einiges wird von Gerichten konkretisiert und ausgeurteilt werden müssen. Entwickler von Computerspielen sollten sich aber auf die möglicherweise größeren Änderungen durch die Umsetzung beider EU-Richtlinien rechtzeitig vorbereiten oder fachliche Hilfe in Anspruch nehmen.