Als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im IT- und Medienrecht möchte ich heute ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vorstellen, das für die Marketingbranche von großer Bedeutung ist. Es geht um die Frage der kerngleichen Verstöße bei Unterlassungserklärungen – ein Thema, das im Online-Marketing immer wieder für Unsicherheit sorgt.
Der Fall vor dem Landgericht Frankfurt
Im Ausgangsverfahren ging es um Werbung für Hörgeräte. Das Landgericht Frankfurt hatte die beklagte Firma rechtskräftig verurteilt, es zu unterlassen, mit bestimmten Formulierungen zu werben. Konkret waren folgende Aussagen untersagt worden:
1. “Jetzt Krankenkassenanteil sichern!”
2. “Fragen Sie hier direkt ihren Krankenkassenanteil an!”
3. “Sichern Sie sich hier schnell Ihren Krankenkassenanteil für bestes Hören”
Das Landgericht begründete seine Entscheidung damit, dass diese Werbeaussagen nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG irreführend seien. Sie seien geeignet, beim angesprochenen Verkehr die Fehlvorstellung hervorzurufen, beim Kauf eines Hörsystems könne auch bei einer vollständigen Online-Abwicklung eine Krankenkassenabrechnung erfolgen.
Die neue Werbung und das Ordnungsmittelverfahren
In der Folge verwendete die Firma eine abgewandelte Formulierung in ihrer Werbung. Sie warb nun mit “Bis zu 1.690 Euro Zuschuss bekommen” und erläuterte, dass Krankenkassen bei der Anschaffung und dem Service von Hörgeräten bis zu diesem Betrag übernehmen “können”.
Das Landgericht Frankfurt wies den Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes mit Beschluss vom 27.03.2024 zurück. Es sah in der neuen Formulierung keinen kerngleichen Verstoß. Die Richter begründeten dies damit, dass die ursprüngliche Aussage eine aktive Handlungsaufforderung enthielt, während die neue Formulierung lediglich informierenden Charakter hatte.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt
Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Es führte aus, dass die neue Werbung nicht mehr in den Kernbereich des Unterlassungstitels falle. Das OLG betonte, dass für die Beurteilung eines kerngleichen Verstoßes entscheidend sei, ob die neue Formulierung bereits – zumindest gedanklich – Gegenstand des ursprünglichen Erkenntnisverfahrens war.
Das Gericht stellte fest, dass sich die neue Werbung sowohl im Wortlaut als auch inhaltlich von den ursprünglich verbotenen Aussagen unterscheide. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese bereits im ursprünglichen Verfahren berücksichtigt worden seien.
Bedeutung für Marketingagenturen
Diese Entscheidung ist für Marketingagenturen von großer Relevanz. Sie zeigt, dass bei der Beurteilung von kerngleichen Verstößen durchaus Nuancen eine Rolle spielen können. Nicht jede ähnliche Formulierung wird automatisch als Verstoß gewertet.
Für Marketingagenturen bedeutet dies, dass sie nach einer Unterlassungserklärung oder einem gerichtlichen Verbot zwar vorsichtig sein müssen, aber dennoch Spielraum für kreative Lösungen haben. Es ist entscheidend, dass Agenturen die Kernaussage des ursprünglichen Verbots genau analysieren und verstehen.
Bei der Entwicklung neuer Werbestrategien sollten sie darauf achten, den problematischen Kern der ursprünglichen Aussage zu vermeiden, während sie gleichzeitig die gewünschte Botschaft auf eine neue, rechtlich unbedenkliche Weise vermitteln.
Fazit
Das Urteil des OLG Frankfurt zeigt, dass im Bereich der kerngleichen Verstöße durchaus Spielraum für Interpretation besteht. Für Marketingagenturen bedeutet dies einerseits die Chance, auch nach Unterlassungserklärungen noch effektive Werbung zu gestalten. Andererseits unterstreicht es die Notwendigkeit, sehr genau und mit juristischem Sachverstand an solche Fragen heranzugehen.
Eine sorgfältige Abwägung und im Zweifel rechtliche Beratung können hier vor teuren Fehlern schützen. Letztendlich bleibt die Beurteilung, ob ein kerngleicher Verstoß vorliegt, eine Frage des Einzelfalls, die stets einer genauen Prüfung bedarf.