Wer meinen Blog regelmäßig verfolgt, der hat bestimmt mitbekommen, dass ich auch gerne immer echte Verfahren oder Rechtsfragen aus meinem Alltag als Rechtsanwalt in meine Blogposts verarbeite. Aktuell beschäftigt mich die Zulässig von Reaction-Videos auf YouTube.
Was sind Reaction Videos?
Erfahrene YouTube-Nutzer wissen genau, was Reaction Videos sind, denn es ist ein großer Trend bei einigen großen YouTubern. Dabei werden Videos von anderen YouTubern im Hintergrund gezeigt, die dann von dem anderen YouTuber kommentiert werden. Oft werden diese Reactions dann wiederum von anderen kommentiert oder bestimmte Aktionen in der Szene aufgenommen.
Es liegt in der Natur dieser Art von Videos bzw. Streams, dass ein “fremdes” Video und damit fremdproduzierter Inhalt im eigenen Video verwendet wird – in der Regel ohne den ursprünglichen Ersteller um Erlaubnis zu fragen.
Daraus können sich vielfältige rechtliche Fragen ergeben.
Urheberrechte
Die erste Frage, die sich stellen könnte, ist, ob durch das Reaction Video möglicherweise Urheberrechte Dritter verletzt werden. Und das ist in der Tat möglich. Zwar gibt es meines Wissens in der Bundesrepublik Deutschland noch kein Urteil zum Thema “Urheberrechte bei Reaction-Videos”, aber das kann/könnte durchaus noch kommen. Betroffen könnten all diejenigen sein, deren Urheber- oder Verwertungsrechte bereits im Originalvideo verletzt werden. Diese Rechte würden zwangsläufig auch in dem als Reaction-Video produzierten Video verletzt. Ob sich daraus ein zusätzlicher Anspruch gegen den Urheber des Reaction-Videos ergibt, ist fraglich. Dagegen könnte allerdings die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum sogenannten Framing sprechen.
Der Europäische Gerichtshof hat 2014 in einer wichtigen Grundsatzentscheidung entschieden, dass Framing-Links keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Informationsgesellschaft-Richtlinie darstellen, jedenfalls solange sich diese Wiedergabe nicht an ein neues Publikum richtet und keine andere Wiedergabetechnik verwendet wird. Diese Entscheidung betrifft natürlich die Einbindung von YouTube z.B. über IFrames auf einer Homepage, ebenso wie die Folgeentscheidung des EuGH vom 09.03.2021, Az. C-392/19, die konkretisiert, dass dies der Fall ist, wenn im Originalvideo keine Einschränkung der Framing-Funktion erfolgt. Wenn also ein Video den eigenen Bildschirm aufnimmt und darin ein – auf YouTube frei verfügbares – Video abgespielt wird, ist die Situation zwar nicht identisch, aber durchaus vergleichbar. Weder der Ersteller des Originalvideos noch Dritte könnten dann Ansprüche gegen den Ersteller des Reaktionsvideos geltend machen. Ob sich die Gerichte dieser Auffassung anschließen oder ob sich Gründe finden, dies anders zu sehen, etwa weil dem Hersteller des Originalvideos Werbeeinnahmen entgehen, bleibt abzuwarten.
Unter anderem wird es hier aber auch auf die konkrete Ausgestaltung des Reaction-Videos ankommen, da diese z.B. auch als Zitat zu werten und damit nach § 51 UrhG zulässig sein könnte.
Persönlichkeitsrechte
Ein weiteres Problem könnte sich ergeben, wenn das Originalvideo andere Rechte verletzt, z.B. Marken- oder Persönlichkeitsrechte. Diese werden nämlich in dem Reaction-Video wiederholt und der Ersteller des Reaction-Videos merkt unter Umständen gar nicht, wenn das Originalvideo offline genommen wird (durch den Ersteller des Originalvideos oder durch YouTube selbst). Hier stellt sich dann die Frage, ob ein eigener Anspruch des Verletzten gegen den Ersteller des Reaction-Videos besteht (einschließlich z.B. Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen) oder ob auch hier die Framing-Entscheidung einschlägig ist und nur die Grundsätze der Störerhaftung zur Anwendung kommen können, also z.B. ein Video entfernt werden muss, wenn man vom Verletzten auf die mögliche Rechtsverletzung hingewiesen wurde und erst danach eigene Unterlassungsansprüche bestehen. Sie ahnen es aber schon: Auch hierzu ist mir keine Rechtsprechung bekannt, so dass ich selbst eine gewisse Tendenz habe und meine Mandanten entsprechend berate, diese Meinung aber noch nicht mit Urteilen untermauern kann.
Sich zu eigen machen?
Spannend ist auch die Frage, ob die Rechtsprechung zum “sich zu eigen machen” für einige der Fragen, die sich im Zusammenhang mit Reaction-Videos stellen, relevant ist. Diese Rechtsprechung wurde unter anderem durch das Chefkoch.de-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. November 2009 weiterentwickelt. Im konkreten Fall ging es um zwei Rezeptsammlungen. Nach Ansicht des BGH hatten die Betreiber der Seite damals nicht ausreichend geprüft, wem die Rechte an den auf ihrer Plattform veröffentlichten Fotos zustehen. Entscheidend war nach Ansicht des BGH, dass die Seitenbetreiber die Rezepte und Fotos als “eigene Inhalte” präsentiert hatten. Diese Rechtsprechung ist inzwischen vielfach erweitert und angepasst worden, so dass es hier das eine oder andere “Learning” geben könnte.
Wie immer würde ich bei neuen Trends in der Medienbranche aber unbedingt raten, einen erfahrenen Rechtsanwalt im Medienrecht um Hilfe zu bitten. Oft kann man nämlich Ratschläge geben, die bei rechtlichen Unsicherheiten ermöglichen, das Risiko einer rechtlichen Inanspruchnahme zu verringern. Aktuell ist das Risiko durchaus gegeben, für ein Reaction-Video in Anspruch genommen zu werden, wogegen man sich dann nach einer Abmahnung oder in einem Gerichtsverfahren verteidigen müsste. Ich würde daher davon abraten, diese Art Videos, zumindest bei Inhalten, die kritisch und heiß diskutiert sind, zu nutzen. Auch wenn ich glaube, dass Ansprüche nur schwer durchsetzbar sind, vor allem auch wenn man im Bereich der freien Meinungsäußerung und des Zitatrechts ist, so kann es durch den oft hohen Streitwerte, schnell 10.000 Euro oder mehr kosten, sich gegen Anspruchsteller zu wehren.